„Ich will keine Gefangene meiner Emotionen sein!“

Jennifer Gervais von „Dust In Mind“ im Interview über Emotionalität, Videodrehs auf dem Eiffelturm und das kommende Album „CTRL“.

Elena von Dark Divas

ELENA VON DARK DIVAS

4. Nov 2021

Jennifer Gervais
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Jennifer, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst. Wie geht’s dir?

Jennifer Gervais: Es geht mir gut, aber ich bin ein bisschen müde. Wir hatten gerade eine ganze Woche lang Album-Rehearsals. Nach so intensivem Zusammenarbeiten ist es immer etwas gewöhnungsbedürftig zum Alltag zurückzukehren. Insbesondere, da die vergangenen Nächte sehr kurz waren. (lacht)

Der Name des Albums lautet „CTRL“. Mir kommt da gleich die Computertaste „Control“ in den Sinn.

Jennifer: Ja, richtig ­– CTRL steht für Control. Zentrales Thema des Albums ist, wie wir unsere Emotionen kontrollieren. Manchmal fühlen wir „zu viel“, wir sind gefangen in unseren Gefühlen und sind beinahe süchtig danach, alle Dinge emotional zu verarbeiten. In den Songs greifen wir unterschiedliche Aspekte heraus. Wir wollten außerdem einen modernen Albumtitel – deshalb haben wir CTRL gewählt. Viele von uns drücken den Control-Button täglich. Dasselbe machen wir auch mit unseren Emotionen. Die Metapher war also naheliegend.

Bist du eine Person, die ihre Emotionen unter Kontrolle hat?

Jennifer: Ich gehe sehr offen mit meinen Gefühlen um. Ich rede mit jedem und jederzeit über emotionale Dinge und Sachen, die mich beschäftigen. Ich bin sehr leidenschaftlich und habe diesbezüglich keine Hemmungen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir unseren Gefühlen und Gedanken zu selten Raum geben, weil wir Angst haben, was andere Leute über uns denken könnten. Ich habe für mich entschlossen, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Ich will keine Gefangene meiner Emotionen sein.

CTRL ist bereits euer fünftes Album. Euer Debüt „Dust In Mind” liegt acht Jahre zurück – eine lange Zeit. Was hat sich seitdem verändert? Wie habt ihr euch als Band weiterentwickelt?

Jennifer: Für mich fühlt es sich an, als wäre es gestern gewesen! Ich glaube, das einzige, was sich wirklich geändert hat, ist unsere Art zu arbeiten. Früher haben wir nebenher auch noch regulär gearbeitet. Wir hatten so viel zu tun, dass uns alles manchmal über den Kopf gewachsen ist. Wenn ich das mit heute vergleiche, liegen Welten dazwischen. Jetzt fokussiere ich mich jeden Tag zu 100 Prozent auf die Band. Die Einstellung zur Musik und die Gefühle, die ich reinstecke, sind dieselben. Vielleicht ist auch die Art, wie ich Botschaften in Texten rüberbringe, anders als früher. Damals hatte ich oft Probleme, mich richtig auszudrücken – insbesondere auf englisch. Heute ist es immer noch manchmal ‚tough‘, aber ich fühle mich insgesamt viel sicherer.

In einem deiner Instagram-Postings hast du über das „Blank Page Syndrom” gesprochen. Momente beim Texten, in denen man tausend Sachen sagen will, aber dennoch nichts zu Papier bringt. Ist es dir beim Schreiben für CTRL oft so ergangen?

Jennifer: Ehrlich? Ja. Sehr oft sogar. Sowas habe ich zuvor noch nie erlebt. Ich glaube Covid hat meine Gefühle ziemlich runtergedrückt. Mein Kopf und mein Herz brannten. Ich hatte das Blatt vor mir, den Stift in der Hand – aber die Worte wollten einfach nicht aus mir rausfließen. Alles, was ich schreiben wollte, erschien mir so dumm. Als würde es keinen Sinn ergeben. Das war frustrierend. Am Ende wurde mir bewusst, dass ich meinen Ärger über die ganze Pandemie loslassen muss, um Klarheit zu bekommen. Also habe ich viel über meinen Ärger geschrieben. Es hat mir geholfen, mich wieder auf die positiven Dinge zu konzentrieren.

Schreibst du die Texte direkt auf englisch oder konzipierst du erste Ideen vorher auf französisch und übersetzt dann?

Jennifer: Ich habe eine Sammlung an Vokabeln und Song-Ideen auf französisch parat. Grundsätzlich versuche ich aber gleich auf englisch zu texten und zu denken, obwohl es manchmal nicht einfach ist. Insbesondere dann, wenn die Message aus tiefstem Herzen kommt. Dann liegen mir die französischen Worte auf der Zunge, aber es will partout nicht auf englisch raus. Gott sei Dank gibt es für solche Fälle Google Translate! (lacht)

Man liest oft, dass du ein Faible für melancholische, traurige und tiefgehende Musik hast. Ist das zugleich deine Inspirationsquelle?

Jennifer: Ich habe keine direkte Inspiration für die Texte. Das heißt, es gibt keine bestimmten Themen, über die jemand anders singt, über die ich dann auch singen will. Es sind mehr die Gefühle, die mich überkommen, wenn ich Katatonia, Anathema und andere Bands höre, die mich inspirieren. Wenn ich die Songs höre, kann ich mich manchmal nicht zurückhalten, weil es so schön ist. Das sind die perfekten Momente für mich, um zu schreiben – wenn mich die großen Emotionen übermannen. Lacuna Coil zum Beispiel, höre ich, seit ich 15 Jahre alt bin. Die Band, und vor allem Frontwoman Cristina Scabbia, berühren und inspirieren mich seit Anfang der Bandgeschichte.

Anderes Thema: Ihr habt etwas ziemlich Verrücktes gemacht – ihr habt den Eiffelturm sperren lassen, um das Musikvideo für “Synapses” da oben zu drehen. Wie war das?

Jennifer: Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir das gemacht haben! Wir wollten den Song mit den französischen Lyrics am Ende durch noch mehr französischen Touch verstärken. Viele Jahre lang haben wir die Tatsache, dass wir Franzosen sind, eher versteckt, weil es schwierig ist, French-Metal ins Ausland zu exportieren. Dieses Mal wollten wir unsere Herkunft deutlich hervorheben. Jeder auf der Welt kennt den Eiffelturm, also war es für uns ganz klar, dass wir da rauf müssen. Es war Wahnsinn! Wir haben einfach bei den Leuten vom Eiffelturm nachgefragt, ob das möglich wäre. Ohne viel Hoffnung schickten wir eine detaillierte Projektmappe mit. Wenige Stunden später bekamen wir grünes Licht. Ich dachte ich träume! (lacht) Eine Woche später hatten wir eine Stunde Zeit, das Video zu drehen – eine einzige Stunde. Im Nachhinein habe ich kaum Erinnerungen daran, weil es so schnell ging. Wir rannten wie wild herum, um die Instrumente und das Filmequipment aufzubauen und alles in einer Stunde abgedreht zu bekommen – es war surreal.

Ihr habt euer eigenes Studio – Psyrus Studios. Heißt das, ihr produziert sämtliche Musik, Videos und Fotos selbst?

Jennifer: Ja, alles. Wir machen aber nicht nur unsere eigenen Sachen selbst, sondern produzieren auch Videos und Musik für andere Bands. Im Studio arbeite ich als Video-Assistentin.

Du hast mal erwähnt, dass du gerne barfuß performst. Warum?

Jennifer: Ich interessiere mich sehr für Menschen, den Flow und die Energie, die uns umgibt. Ich habe mal eine Dokumentation übers Barfuß-Gehen gesehen, über die Verbindung zwischen der Erde und uns. Und weil wir genau genommen aus Energie bestehen, macht es für mich Sinn, sich mit der Erde zu verbinden. Schuhe sind eine Barriere zwischen uns und dem Boden. Wir verlieren die Bindung zu unserer Herkunft. Klar laufe ich deshalb nicht ständig barfuß herum. Aber ich versuche jeden Tag mindestens fünf Minuten barfuß zu laufen.

Wie sieht die Metal-Szene in Frankreich aus?

Jennifer: Metal ist in Frankreich wenig populär. Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum wir unsere Herkunft nie nach außen gekehrt haben. Es gibt Shows in Paris, Straßburg und rund um die Grenze zu Deutschland. Allerdings würde ich mir noch mehr wünschen. Mit dem Eiffelturm-Musikvideo möchten wir Frankreich empfänglich für unsere Musik machen. Viele Menschen, die vorher noch nie mit Metal in Berührung kamen, haben uns über Synapses und das Video entdeckt.

Der Tag vor dem Release von CTRL ist dein Geburtstag!

Jennifer: Ja, quasi ein Geburtstagsgeschenk an mich selbst! (lacht) Als wir die Auswahl zwischen den verschiedenen Release-Tagen hatten und der 19. November zur Auswahl stand, war ich natürlich begeistert.

Plant ihr etwas, um den Release zu feiern?

Jennifer: Bis jetzt ist noch nichts geplant, leider. Wir werden wohl auf Anfang 2022 warten müssen.

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