„Wir klingen so selbstbewusst, wie nie zuvor"
Jennifer Haben im Interview über das neue Album „Beyond the Black", die Tour mit Amaranthe und Pläne für 2023.
FLORIAN DÜNSER
27. Dez. 2022
Du blickst noch recht frisch auf die Erfahrungen eurer ausgesprochen erfolgreichen Co-Headliner-Tour mit Amaranthe zurück. Nach zwei Jahren Covid-bedingter Verschiebungen: Wie gut tat diese Bestätigung von den Fans aus ganz Europa?
Jennifer Haben: Das war absolut großartig. Wir wussten nicht ganz, was uns erwarten wird – und wie hoch das Risiko war, um die Tour tatsächlich durchzuziehen. Die Musikindustrie ist immer noch ein wenig fucked up. Die Kosten sind um 30% gestiegen, die Ticketpreise sind gleich geblieben. Demnach war die Kalkulation ganz anders als ursprünglich geplant. Trotzdem haben wir gesagt: wir wollen diese Tour unbedingt spielen und wir haben Bock, wieder live unterwegs zu sein. Wir mussten natürlich hoffen, dass keine Show abgesagt wird, weil das hätte sehr viel ins Wanken gebracht. Aber: es ist alles mega gut gelaufen. Leider mussten Amaranthe eine Show absagen. Aber der Rest konnte komplett durchgezogen werden. Wir hatten eine unfassbar schöne Zeit. Und: Ich bin komplett gesund geblieben. Das hatte ich noch nie auf einer Tour. Wir hatten jeden Abend so viel Spaß, in diesem Ausmaß hatten wir das bisher auf keiner Tour.
Gibt einem das auch ein gutes Gefühl für das neue Album?
Jennifer: Es war schon schön, endlich die Möglichkeit zu haben, die Horizons-Songs zu performen. Jetzt können wir mit neuen Songs und mit dem neuen Album nochmal neu ansetzen. Ganz normal Promo machen. Und das fühlt sich echt richtig gut an. Wir haben die letzten zwei bis drei Jahre so viel Neues gemacht. Das hat teilweise sehr viel Spaß gemacht – aber es war auch sehr anstrengend, weil auch nicht klar war, was es im Endeffekt bringt.
Hand aufs Herz: Gab es in den vergangenen zwei Jahren, in denen so oft nicht klar war, wie sich die Covid-Situation entwickelt, Momente, wo ihr euch als Band gedacht habt: Das war’s für uns.
Jennifer: Nein. Aber natürlich gab es Zweifel. Im Sinne von: schaffen wir das? Wir haben viel ausprobiert. Darunter etwa die Acoustic Streaming Show “Origins”. Man hat bei vielen Konzepten gemerkt, dass die Metal-Community nicht so gut darauf anspricht. Etwa die Autokino- oder Strandkorb-Shows. Die Metal-Community möchte gerne zusammen sein, anstoßen und Spaß haben. Das war bei diesen Konzepten einfach nicht möglich. Und ja, das hat uns finanziell durchaus weh getan. Wir haben trotzdem nicht aufgegeben und versucht, neue Dinge auszuprobieren. Und ja, wenn es jetzt ein paar Jahre noch so weitergegangen wäre, hätten wir wahrscheinlich ein Problem bekommen. Aber jetzt sieht alles wieder sehr positiv aus. Es war schwierig – aber mehr im Sinne von Energie zu haben, durchzuhalten. Diese Unsicherheit, nicht zu wissen, wann es denn normal wieder weiter geht, war das schwierigste.
Es war wohl auch eine Art Gefühl, stehenzubleiben – sich, obwohl die Vorzeichen gut waren, nicht weiterentwickeln zu können.
Jennifer: Total. Es war wie auf Pause gedrückt. Die Tour das erste mal zu verschieben, das war irgendwie allen klar – da dachten wir uns noch: Das wird dann schon wieder gehen. Aber das zweite mal hat so weh getan. Da kamen dann richtige Zweifel nach dem Motto: Wann soll das dann wirklich wieder aufhören? Natürlich gab es da auch blöde Momente. Aber das haben wir ja jetzt hoffentlich überwunden.
Die Covid-Situation hat zu einer für Beobachter überraschenden Setlist auf eurer Tour geführt. Ihr habt mehr Songs von eurem neuen Album gespielt, das erst im Januar erscheinen wird, als von Horizons – jenem Album, das ihr mit dieser Tour ursprünglich promoten wolltet. Schmerzt der Umstand, dass ihr Horizons im Rahmen einer Tour nie einem größeren Publikum live präsentieren konntet?
Jennifer: Ja und nein. Ich glaube, uns war das ziemlich bewusst, dass das mit Horizons nicht ging. Wir wollten es trotzdem raushauen, aus verschiedenen Gründen. Wir wollten zeigen, was da gerade aktuell los ist bei uns. Ich bin sehr froh, dass wir Horizons damals rausgebracht haben – heute wäre es auch vom Feeling her für uns nicht mehr richtig. Es war ein sehr experimentelles Album. Es haben sehr viele verschiedene Leute mitgeschrieben, wir haben mit vielen unterschiedlichen Produzenten gearbeitet. Wir haben einfach viel ausprobiert. Beim neuen Album ist es so, dass wir uns schon vorher wichtige und große Fragen gestellt haben – persönlich wie auch für die Band. Wer ist Beyond the Black, wer wollen wir sein – und wie wollen wir klingen? Wir hatten das erste mal wirklich die Zeit und auch den Druck, da tiefer reinzugehen. Fragen, die wir uns davor in dieser Intensität nicht gestellt hatten. Das hat für dieses Album viel bewirkt. Darum klingt Beyond the Black auch viel selbstbewusster als die bisherigen Alben.
Ich erinnere mich an ein Interview mit Simone Simons von Epica. Epica standen mit ihrem Album Omega vor derselben Herausforderung wie ihr: Das neue Album war da – eine Promo-Tour war Covid-bedingt nicht möglich. Sie meinte damals, dass sich das Album für sie deshalb unvollendet angefühlt habe. Gefühle, die ihr mit Horizons in dem Fall nicht hattet?
Jennifer: Wenn man das so hört, kann man das durchaus nachvollziehen. Aber ich bin niemand, der zurückblickt und dann hadert. Ich bin total happy mit unserem neuen Album, auch, dass die Tour so gut funktioniert hat. Ich konzentriere mich nun auf das, was kommt. Und da wird viel Gutes dabei sein. Wir sind so stolz auf das neue Album – vielleicht ist der Rückblick deshalb nicht so schmerzhaft.
Wie war es, mit drei anderen Bands auf Tour zu sein – und somit jeden Abend de facto auf einem Mini-Festival zu performen, mit euch bzw. Amaranthe als Headliner?
Jennifer: Es waren sehr lange Tage (lacht). Vor allem für unsere Crew. Aber es war ein wirklich großartiges Erlebnis – und total harmonisch. Wir hatten eine mega Party zusammen und haben uns alle wohl gefühlt. Keiner wollte dem anderen auf den Schlips treten. Und das gibt es ja schon hie und da in dieser Branche. Nach den sechs Wochen habe ich gesagt: Also ich könnte noch sechs Monate weiter touren (lacht). Das liegt sicherlich auch daran, dass ich nicht krank geworden bin und mich gut gefühlt habe. Das war bei den anderen nicht immer so. Daher waren die sicherlich froh, sich jetzt mal auskurieren zu können. Aber ich hätte gefühlt ewig weitermachen können.
Euer fünftes Studioalbum “Beyond the Black” erscheint am 13. Januar. Frei nach dem Motto “Nach der Tour ist vor der Tour”: Kannst du uns schon in die diesbezüglichen Pläne 2023 einweihen?
Jennifer: Ich kann euch zumindest sagen, dass wir wieder eine Tour planen. Und natürlich sind die Pläne auch viel kurzfristiger als vor der Pandemie. Aber so kurzfristig, dass wir im Januar oder Februar schon wieder auf Tour gehen: Das glaube ich nicht (lacht). Es wird ganz viele Sommerfestivals gehen und dann werden wir wahrscheinlich 2023 wieder auf Tour gehen. Wir planen derzeit ganz viel und hoffen, dass wir es bald releasen können.
Du hast vor zwei Jahren bei uns im Interview gesagt: Ein neues Album von BTB wird immer ein Überraschungsei sein. Du hast damit Erwartungshaltungen auf Basis der bisherigen VÖ indirekt eine Absage erteilt. Wie würdest du die Entwicklungsschritte von Horizons zu BTB beschreiben?
Jennifer: Dadurch, dass Horizons so ein experimentelles Album war, hat es uns sehr viel gelehrt. Genauso wie die Pandemie. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum wir jetzt genau wissen, was wir wollen. Bei Horizons war es der Weg, auf dem wir herausgefunden haben, wie wir am Ende klingen möchten. Und bei Beyond the Black wussten wir das schon vorher. Und das ist der größte Unterschied zwischen den beiden Alben. Wir haben vieles aus den bisherigen Alben kombiniert – sind mehr in Richtung Symphonic gegangen. Dann aber auch wieder nicht zu sehr. Trotzdem finden sich hie und da auch elektronische Elemente, weil wir das als sehr spannend empfinden. Auch wenn wir es nicht mehr so ausreizen wie bei Horizons. Wir wollten das Album als ein großes Bild wahrnehmen. Das war bei Horizons nicht so. Da stand jeder Song für sich selbst.
Du bist mega stolz auf das neue Album, das spürt man enorm.
Jennifer: Für mich ist das der bisherige Zenit. Ich bin mega stolz darauf. Wir bekommen auch sehr viel positives Feedback. Normalerweise sind deutlich mehr Hater da – ich weiß gar nicht was mit denen los ist, die sind alle so ruhig (lacht). Die Kurve zeigt gerade steil nach oben, zumindest fühlt es sich so an. Und ich freue mich auf alles, was jetzt kommt.
Apropos Hater: Beschäftigen dich negative Kommentare im Internet?
Jennifer: Nee. Das ist mir so wurst (lacht). Wenn du was veröffentlichst, und du bist dir selber nicht 100% sicher, ob du das gut finden sollst – und dann kommt genau der eine Kommentar, der da reinsticht: ja, das trifft. Wenn man aber selber sagt: das ist geil, was ich da mache, dann kann eigentlich kein Kommentar kommen, der mich wirklich schmerzt. Dann ist es nur noch Meinung. Es gibt ganz viele Leute, die unsere Musik nicht mögen – und das ist auch völlig in Ordnung. Aber wenn ich es selber gut finde, dann habe ich meinen Frieden damit.
Inwiefern haben die Erfahrungen von zwei Jahren Pandemie das neue Album geprägt?
Jennifer: Tatsächlich ganz viel in den Lyrics. Da wurde viel von uns verarbeitet. Alle Themen kann man auf das ganze Leben ausweiten und die sind nicht erst seit der Pandemie da. Beispielsweise “Is There Anybody Out There” – da geht es darum, dass man sich mit seinen Gedanken und Emotionen alleine gelassen fühlt. Dass man das Gefühl hat, dass die ganze Welt um einen herum zusammenbricht. Sowas haben während der Pandemie natürlich ganz viele Menschen gefühlt. Das ist auch der Grund, warum wir da sehr konkret werden konnten in den Texten und es viele Menschen gut nachvollziehen können. Es gibt viele Passagen im Album, in denen solche Dinge verpackt wurden.
Was ist deine Lieblingsnummer auf BtB – und warum?
Jennifer: Das ist so schwer. Weil ich von jedem einzelnen Song sehr überzeugt bin. Es hat live alles gleich viel Spaß gemacht. Und ich weiß, ich bin eigentlich so ein Balladen-Girl, daher bin ich natürlich ein Fan von “Wide Awake” und “I Remember Dying” – auch wenn das nicht die krassen Mitsing-Songs sind. Aber gerade letzterer: Ich habe während der Pandemie sehr viel Hans Zimmer und generell Film-Musik gehört. Das war eigentlich die Inspiration für mich, diesen Song zu schreiben. Ich wollte einen Song schreiben, den nicht jeder versteht – vielleicht ein wenig special interest ist. (lacht) Und auch wenn jemand nichts damit anfangen kann, dann gibt es dem Album doch Farbe und rundet es ab. Es ist ein wenig mein Herzens-Song, auch wenn ich weiß, dass ihn viele nicht als ihren Favoriten auswählen werden.
Gerade auch mit so speziellen Songs im Gepäck: Wie definiert man als Band eine Tracklist?
Jennifer: Ich finde das sehr spannend. Für mich ist es sehr wichtig, dass die Dramaturgie funktioniert. Wir wollen nicht ähnliche Songs nacheinander, sondern immer wieder überraschen. Und wir haben fast immer so einen Song wie “I Remember Dying” am Schluss, etwas ganz Spezielles. Wenn du dich hinsetzt und das Album komplett durch hörst, dann fällt es am Ende doch recht einfach. Catchy zu Beginn, mit schönem Übergang – und zum Finale hin nochmal eine ganz neue Emotion. Das ist mein Leitfaden.
Jennifer, vielen Dank für das Gespräch!
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