„Wir haben in der menschlichen Psyche gegraben“

Aeranea- und Hereafter-Frontwoman Lilly Seth über ein neues musikalisches Kapitel, Band-Freundschaften, Songwriting während der Pandemie und Sexismus im Metal-Business.

Elena von Dark Divas

ELENA VON DARK DIVAS

29. Jan 2021

Lilly Seth
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Im Dezember habt ihr eure neue Single „Your Idols Awaken“ released. Eine starke, powervolle Nummer mit relativ düsteren und schwermütigen Lyrics. Auch die Stimmung im Musikvideo passt perfekt dazu. Was steckt hinter dem Song?

Lilly Seth: Der Song handelt davon, wenn du mit Menschen zu tun hast, die sich in eine narzisstische Ecke verziehen. Menschen, die keine Empathie empfinden, denen es egal ist, wie du empfindest und die dich nicht gut behandeln. Im Song geht’s darum, wie man mit solchen Menschen umgehen kann. Er ist sozusagen die Einleitung zum kommenden Album.

Bei der Single ist es nicht geblieben. Du bist mit Aeranea mit einem neuen Album am Start. „The Fading Ones“, „The Demons Inside“ und „As the Sun Dies“ sind scho ein paar Jährchen her. „A Voice for the Lost” wird jetzt im April released – woher kamen der Wunsch und die Inspiration ein neues Album aufzunehmen?

Lilly: Da wir in den letzten Jahren nur EPs veröffentlicht haben, wuchs in uns der Wunsch, ein "klassisches" Album zu schreiben. Also ein Gesamtwerk, das ein neues Aeranea-Kapitel eröffnet und ein altes schließt. Das war aber absolut nicht als Konzept-Album gedacht – auch wenn ein paar Songs zu derselben Geschichte gehören oder aufeinander aufbauen. An dem einen oder anderen Song haben wir lange in Etappen geschrieben. Manche Ideen lagen auch Wochen oder sogar Monate in einer Schublade, bevor wir sie nochmal komplett neu aufgewirbelt haben. Irgendwann kam der Punkt, an dem wir genug passende Songs für dieses neue Aeranea-Kapitel zusammen hatten. Die Inspiration an sich haben wir schon immer aus düsteren Geschichten gezogen. Bei 'A Voice for the Lost' haben wir aber noch etwas tiefer in den Abgrund geschaut und in der menschlichen Psyche gegraben.

Nicht nur die erste Single ist tiefgründig und „dunkel“ – das ganze Album soll sehr persönlich werden. Mit Songs, die von Verlust und inneren Konflikten handeln. Was wollt ihr den Fans erzählen bzw. auf den Weg geben?

Lilly: Auch wenn es mittlerweile absolut abgedroschen klingt: Musik bedeutet uns so viel mehr als reine Unterhaltung. In jedem Song steckt ein Stück Seele. Auch wenn auf den ersten Blick nur eine fiktive Geschichte erzählt wird. Viele Musiker verarbeiten durch die Musik aber auch ihre eigene Realität und kreieren dann etwas, was dann auf der anderen Seite den Hörern helfen kann. Spätestens wenn dir zum ersten Mal jemand sagt, dass ihr/ihm ein Song durch eine schlimme Phase geholfen hat, lässt einen das nicht mehr wirklich los. Man schreibt also nicht mehr unbedingt nur für sich selbst, sondern möchte auch die anderen in seine Welt einladen. Manchmal versucht man aber auch die Welt der anderen nachzuempfinden und dadurch eine Brücke zu schlagen. Die Stimme in 'A Voice for the Lost' soll genau für diese Verbindung stehen. Sie sammelt all die dunklen Geschichten in sich zusammen und macht den Dämonen eine Kampfansage.

Das Coronavirus macht uns schon fast ein Jahr lang das Leben schwer. Wie war es, während einer globalen Pandemie ein Album aufzunehmen und Videos zu produzieren?

Lilly: Das Musikvideo drehten wir, als es noch möglich war. Das Aufnehmen war bisher auch in Ordnung, weil wir bei Stefan aufnehmen konnten. Er hat sein eigenes Studio, das ermöglichte es uns schon während dem Songwriting aufzunehmen. Damit sind wir, solange man sich zu zweit treffen konnte, relativ safe gefahren. Wenn irgendetwas gesetzlich möglich war, haben wir die Chance genutzt und gearbeitet. Jetzt im harten Lockdown ist jeder bei sich und versucht zu Hause ein bisschen was aufzunehmen. Aber das ist halt was anderes, als wenn man im Studio steht. Es ist schon eine Herausforderung.

Hast du auf dem neuen Album einen Lieblingssong?

Lilly: Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, dass wir alle das gleiche Herzblut in alle Songs reinstecken. Das kristallisiert sich manchmal erst heraus, wenn man live spielt. Also bis jetzt sind alle Songs unsere Kinder, die alle gleichwertig sind.

So ganz generell: Wie funktioniert ihr zusammen als Bandmenschlich als auch musikalisch?

Lilly: Durch den Lockdown ist das alles natürlich schwierig. Wir haben uns das letzte Mal zum Dreh von „Your Idols Awaken“ gesehen. Wir haben uns also schon lange nicht mehr getroffen. Es ist aber eigentlich schon so, dass die Band aus Freunden besteht. Ich bin als Letzte dazugekommen – dann war ich am Anfang natürlich erstmal die Neue. Aber es war nie so, dass wir gesagt haben: „Wir sind die Musiker, das ist der Zweck“ – sondern es musste menschlich passen. Wir treffen uns auch einfach mal so, kennen alle unsere Partnerinnen und Partner. Das Ganze ist schon sehr herzlich und einer der wichtigsten Bausteine der Band. Wenn wir uns zum Songwriting treffen, machen wir uns 3-Tage-Wochenenden und am ersten Tag wird nur gequatscht und gekocht, weil wir halt einfach Freunde sind.

Beim Songwriting ist es dann so: Du schreibst, dein Bandkollege schaut dich an und fragt: „Was willst du damit aussagen?“. Du merkst, selbst dein bester Freund weiß noch nicht richtig, was dir vorschwebt. Oder ihm fehlt noch die Verbindung dazu. Dann musst du dich nochmal damit beschäftigen und realisieren, dass deine Botschaft für jemand anderen etwas anderes bedeuten kann als für dich selbst. Und trotzdem soll der Song nicht deine eigene Bedeutung verlieren. Wenn mehrere Leute zusammen schreiben ist das sowieso eine Herausforderung. Viele Charaktere wollen verschiedene Sachen. Aber in der Regel schreibe ich das, was ich gerne schreiben möchte.

Bandkollege Stefan Herkenhoff ist ja nicht nur Aeranea-Gründer und spielt bei euch die Leadgitarre. Er ist gleichzeitig Bassist bei Beyond The Black. Inwiefern könnt ihr von seinem „Doppelwissen“ profitieren? Hat das Vorteile?

Lilly: Letztes Jahr waren wir mit Mister Misery auf Tour. Die waren das Jahr zuvor Vorband von Beyond The Black. Stefan hat sich mit ihnen angefreundet und es war dann eine freundschaftliche Sache, dass sie uns später mitgenommen haben. Sowas kann man schon als Vorteil auslegen. Aber wer weiß, wie man sich vielleicht auch anders kennenlernen hätte können. Ansonsten trennt Stefan das ganz gut. Er würde uns da nichts irgendwie reindrücken.

Wäre eine eventuelle Zusammenarbeit mit Jennifer und den Jungs von BTB denkbar?

Lilly: Klar, das sind super Menschen und tolle Musiker. Aber geplant ist nichts.

Anderes Thema: Auch bei Hereafter ist dein Gesang zu hören. Allerdings geht es hier musikalisch ein wenig „härter“ zur Sache. 2019 kamen die ersten Tracks. Gibt‘s auch hier Zukunftspläne?

Lilly: Ja! Da schreiben wir tatsächlich auch gerade fleißig. Aber auch hier haben wir momentan das gleiche Problem: Wir können uns nicht sehen. Alle Hereafter-Konzerte vom letzten Jahr sind theoretisch auf dieses Jahr verlegt worden. Da müssen wir halt schauen, was schlussendlich offiziell stattfindet und was gemacht werden kann. Einen genauen Termin gibt’s noch nicht, aber es ist auf jeden Fall etwas in der Pipeline.

Außerdem hast du mit Ulli Perhonen, Frontfrau von Snow White Blood, den Song „Shared Hearts“ (auf „Hope Springs Eternal“ zu hören) aufgenommen. Eine mega Gänsehaut-Nummer, eure beiden Stimmen passen wie Arsch auf Eimer – wie war die Zusammenarbeit für dich?

Lilly: Snow White Blood und Aeranea kennen sich ja schon länger. Wir haben über die Jahre das eine oder andere Konzert zusammengespielt. Die Ulli hat mich einfach gefragt, ob ich das mit ihr machen möchte. Ich hatte bis dahin keinerlei Erfahrung im Symphonic Metal und fühlte mich geehrt, weil ich eigentlich nicht die typische Symphonic-Metal-Sängerin bin. Die Zusammenarbeit war super! Wir waren einen Tag lang gemeinsam im Studio. Vorher hat mich Ulli schon ein bisschen begleitet und mir gesagt, wie die Band sich das vorstellt. Es war alles super vorbereitet und ich war total gut aufgehoben. Der Tag im Studio war echt witzig und es war sehr interessant zu sehen, wie andere Leute arbeiten.

Wie schaffst du es beide Bands und die ganzen Sideprojects unter einen Hut zu bringen?

Lilly: Ich mache schon sehr lange Musik und habe bei vielen Projekten mitgewirkt. Da gab es – und gibt es – viele Phasen in meinem Leben, in denen ich nicht viel Zeit für Freunde und Familie habe. Mal treffe ich mich ein ganzes Wochenende mit Hereafter, dann wieder mit Aeranea – das kostet einen schon sehr viel Zeit. Aber wenn man das gerne macht und mit den Leuten befreundet ist, dann hält sich das die Balance. Es ist keine „schlimme“ Arbeit. (lacht)

Du hast dir unter anderem mit Delain, Infected Rain, Elvellon, Enemy Inside und im Frühjahr 2020 mit Mister Misery die Bühne geteilt. Was ist das Bereicherndste und Schönste am gemeinsamen Touren?

Lilly: Wenn man Backstage kommt und da sind coole Leute, die freundlich sind, mit denen man lachen kann und keiner ist dem anderen etwas neidig. Man versteht sich einfach und kann ein Bierchen zusammen trinken. Sobald man in den Raum kommst ist es herzlich – das ist total wichtig.

Welche Bühnen der Welt würdest du gerne mal bespielen? Hast du einen „großen Traum“?

Lilly: Klar sagt man als Kind immer „Wenn ich groß bin möchte ich gerne da und da spielen“. Auf die Bühne kommt es aber gar nicht an, sondern auf das Festival und auf das Publikum. Das ist das Entscheidende. Was ich ganz gerne machen würde, sobald es wieder möglich ist, ist eine kleine Tour. Mit anderen Bands, mit denen man sich versteht, was Kleines planen und dann zusammen touren. Das wäre schon ein kleiner Traum, wenn wir 2021 ein paar Shows spielen könnten.

Warum Metal?

Lilly: Ich komme nicht aus einem klassischen Musikerhaushalt. Aber ich wurde recht früh gefördert. Hab‘ eine Gitarre bekommen, angefangen hier zu klimpern, da zu singen. Ab und an bin ich in der Schule aufgetreten. Meine allererste Band hatte ich mit 13, 14 Jahren – eine Schulband. Anfangs habe ich immer in Rock- und Alternative-Bands gespielt. Mit den Jahren wächst natürlich auch der Musikgeschmack mit einem mit. Zum Metal bin ich dann über Aeranea gekommen. Zu Beginn war das noch sehr viel Doom Metal. Gemeinsam haben wir uns in eine andere Richtung entwickelt.

Das Genre ist ja nach wie vor eher männerdominiert. Frauen im Business werden gerne belächelt. Was sagst du zu Menschen, die der Meinung sind: „Frauen gehören nicht in den Metal“?

Lilly: Mir ist zum Glück noch niemand begegnet, der das so klar kommuniziert. Finde ich auch Schwachsinn. Klar gibt es stimmlich Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Aber zu sagen: „Frauen gehören nicht in den Metal“ ist total schwachsinnig. Das ist so ein veraltetes Bild – ich weiß gar nicht, wer sich da auf den Schlips getreten fühlt. Man kann ja trotzdem Männer-Metal hören, wenn man das möchte. Das heißt ja nicht, dass andere Leute deshalb nicht mitspielen dürfen. Das ist Sandkastengetue.

Stört dich das, wenn man euch in die „Female Fronted Metal“-Schublade wirft?

Lilly: Ich habe das Gefühl, vor zwei Jahren war das noch krasser. Da wurde gleich gesagt, dass wir eine „Female Fronted Metal“-Band sind. Aktuell sehe ich das nicht, dass das häufig als Label benutzt wird. Es wird halt schwierig, sobald man auf den Begriff reduziert wird. Das sagt nichts über das Genre aus. Das sagt auch nichts darüber aus, was die Band eigentlich macht. Aber so als Beiwerk stört mich das nicht unbedingt. Kann man machen, muss man aber nicht. Dass ich eine Frau bin, definiert unsere Musik nicht.

Kleine Clubs oder große Bühnen?

Lilly: Ist beides schön!

Nach einem Gig: Party oder chillen?

Lilly: Chillen.

Nie wieder selbst Musik machen oder nie wieder die Musik anderer hören?

Lilly: Nie wieder Musik hören.

Headbangen oder ab in den Moshpit?

Lilly: Headbangen.

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