„Ich mag die Stille der Oper und die Verrücktheit des Metals!“

Emmanuelle Zoldan, Frontfrau von Sirenia, hat Dark Divas online getroffen, um über das neue Album, Metal, die Oper und die Pandemie zu sprechen.

Ursula von Dark Divas

URSULA VON DARK DIVAS

11. Feb. 2021

Interview
Emmanuelle Zoldan
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Euer zehntes Studioalbum Riddles, Ruins and Revelations (Veröffentlichung am 12.2.21) ist dein mittlerweile drittes als Sängerin von Sirenia. Wie hat sich die Zusammenarbeit seit dem ersten Album verändert.

Emmanuelle Zoldan: Ich habe in den vergangenen Jahren bei Sirenia sehr viel gelernt. Ich komme ja ursprünglich vom klassischen Gesang. Da musste ich mich zuerst an einige Dinge gewöhnen. Metal ist anders als Oper. Ich musste meinen Gesang anpassen. Ich musste die Art, wie ich mich auf der Bühne bewege ändern und mich an das technische Equipment gewöhnen. Als Opernsängerin singt man ohne Mikro, ohne In-Ear-System. Außerdem sind die Band und ich in den letzten Jahren richtig zusammengewachsen. Wir lernen sehr viel voneinander, jeder bringt etwas mit. So arbeiten wir gerne und gut zusammen und versuchen immer etwas Neues.

Ihr liebt Wortspiele, besonders Alliterationen – die letzte beiden Alben hießen Dim Days of Dolor und Arcane Astral and Aeons. Das neue heißt Riddles, Ruins and Revelations (zu deutsch: Rätsel, Ruinen und Offenbarung). Um welche Riddles, Ruins and Revelations geht es denn?

Emmanuelle: (lacht) Das ist ein großes Rätsel – die Antwort dazu kennt nur Morten. Im Ernst: Morten redet nicht sehr viel über die Wahl der Titel oder die Bedeutung der Texte. Er überlässt die Interpretation gerne den Fans. Ich finde, das ist gut so. Meine Vermutung ist, der Titel könnte vielleicht eine Referenz zu bestimmten Biermarken sein (lacht). Nein, ich habe ehrlich keine gute Antwort darauf. Ich kann dir nur meine Interpretation mitteilen. Für mich bedeutet der Titel, dass nur aus den Ruinen, aus der Asche Neues und Stärkeres entstehen kann – so wie ein Phönix, der aus der Asche entsteht. Das gesamte Album handelt für mich von Verwandlungen. Dieses Album ist etwas Neues, eine Verwandlung. Es zeigt ein neues Gesicht von Sirenia. Offenbarungen und Transformationen ergeben sich aus meiner Sicht aus Lebenserfahrung. Das ist meine eigene Interpretation.

Die Aufnahmen fanden Großteils in den Audio Avenue Studios in Stavenger, Norwegen statt. Morten Veland, euer Mastermind, hat alles in Eigenregie gemixt und gemastert. Wie ist der Aufnahmeprozess für dich gelaufen?

Emmanuelle: Im bin nach Norwegen gefahren. Uns ist es sehr wichtig, dass wir alle zusammen sind, wenn wir den Aufnahmeprozess starten. Zuvor haben wir in Frankreich, in Marseille, aufgenommen. Das ging dieses Mal nicht. Der Ablauf ist: Morten bringt die arrangierten Songs. Ich zeige ihm dann, wie ich sie interpretieren würde. Gemeinsam erarbeiten wir die beste Version.

Der Sound des Albums ist besonders – die 1980er-Jahre sind deutlich hörbar (etwa Into Infinity), elektronische Einflüsse ziehen sich durch – und dann taucht in December Snow eine singende Säge auf. Es gibt viele Stilbrüche. Wie bist du damit in der Umsetzung stimmlich umgegangen?

Emmanuelle: Das war für mich sehr aufregend – im positiven Sinne. Es freut mich immer, wenn ich etwas Neues mit meiner Stimme erkunden oder ausprobieren kann. Wenn Musik und Gesang zeigen, wie vielseitig sie sind, dann mag ich das besonders. Stimmtechnisch ist das für mich kein Problem. Aber es ist toll und aufregend, wenn eben ganz neue Dinge ausprobiert werden – so wie es bei diesem Album war.

Ich habe versucht auf Riddles, Ruins and Revelations für mich einen Lieblingssong festzumachen – es fällt schwer. Wie sieht es mit dir aus?

Emmanuelle: Mir geht es genauso – gerade bei diesem Album fällt es mir besonders schwer. Eigentlich wechsle ich fast täglich meinen Lieblingssong, jedes Mal, wenn ich das Album höre_. (lacht)_ Wenn ich aber einen auswählen müsste, wäre es We Come To Ruins. Es ist ein facettenreicher Song, mit viel Farbe und Atmosphäre, der einige Stile zusammenbringt.

Noch einmal zurück zu den 80ern: Die letzte Nummer auf dem neuen Album ist eine Coverversion des 80er-Jahre-Hits Voyage Voyage von Desireless. Warum ist die Wahl auf diesen Song gefallen?

Emmanuelle: Warum dieser Song? Das ist ein weiteres Rätsel (lacht). Morten liebt diesen Song. Voyage Voyage war auch in den 80er-Jahren in Norwegen ein riesiger Hit. Und wenn wir auf Tour sind, ist es ein Song, den wir immer auf der Playlist haben. Sobald Morten diesen Song hört, ist er gut drauf. Aber: Nils (Anmerkung der Redaktion: Nils Courbaron, Gitarrist bei Sirenia) und ich, wir beide kommen aus Frankreich, fanden Mortens Idee anfangs etwas merkwürdig. Wir konnten uns nicht vorstellen, wie dieser Hit in einer Symphonic Metal Version klingen würde. Aber als uns der Song in Morten-style arrangiert präsentiert wurde, hörten wir, dass es funktionieren kann. Als wir dann die finale Aufnahme hatten, sagten wir gemeinsam, dass der Song auf das Album muss und nicht nur als Bonusmaterial, sondern als eigenständiger Track. Aber Coverversionen sind aus meiner Sicht immer schwieriger als neue Songs. Denn die Erwartungen sind hoch, jeder kennt den Song. Du musst also dem Original treu bleiben, ohne es einfach zu imitieren, sondern du musst dem Song deinen eigenen Klang geben.

In December Snow sprichst du in deiner Muttersprache Französisch – sonst sind eure Texte in Englisch. Würde es dich reizen, ein Symphonic Metal Album in deiner Muttersprache aufzunehmen?

Emmanuelle: Das ganze Album? Ich liebe die französische Sprache, ich finde es ist eine wunderschöne, poetische, und musikalische Sprache. Aber ein ganzes Album in französisch, weiß ich nicht, ob ich das wollen würde. Ich mag das Englische. Im Gesang vielleicht noch mehr. Wenn wir bedenken, dass Sirenia eine international bekannte Band ist, ist es für uns wichtig, dass wir eine Sprache verwenden, die jeder verstehen kann. Aber: Wir hatten auf dem letzten Album auch schon einen Song in französischer Sprache (Anmerkung der Redaktion: Nos heures sombres (Our Dark Hours)) aufgenommen.

Morten (Veland) ist euer Mastermind, trifft auch die Entscheidungen allein – wie funktioniert die Zusammenarbeit bei euch?

Emmanuelle: Das funktioniert gut. Ich arbeite schon lange mit ihm. Wir kennen uns seit 2003. Sirenia ist einfach Mortens Projekt – er ist sehr kreativ, hat als Künstler sehr viel zu sagen. Als ebenso kreative Person könnte ich frustriert sein, weil ich nicht stärker in diesen kreativen Prozess involviert bin. Das bin ich aber gar nicht. Warum? Ich habe andere, eigene Projekte, in denen ich genau das ausleben kann. Bei Sirenia kann ich Mortens Vorgehensweise nachvollziehen. Als Komponist, der alles fertig in seinem Kopf hat, weiß er genau, wie es klingen soll. In diesen Prozess andere miteinzubeziehen ist fast unmöglich.

Du haste eine klassische Gesangsausbildung und bist in deiner Heimat Frankreich auch als Opernsängerin bekannt. Wo sind für dich die größten Unterschiede zwischen einer Performance auf der Opernbühne und einem Auftritt mit Sirenia?

Emmanuelle: Der größte Unterschied ist: In der Oper brauche ich kein Mikrofon oder In-Ear-Monitoring. Dort muss ich meine Stimme ohne Verstärkung transportieren. Im Metal brauchst du das alles. Deshalb muss ich die Stimme anders einsetzen. Was natürlich zudem ganz unterschiedlich ist, ist das Publikum. Du wirst keine Headbanger in der Oper sehen. Ich mag beides – die Stille der Oper und die Verrücktheit des Metals. Ich möchte beides nicht missen. Wenn ich wählen müsste, könnte ich mich nicht entscheiden.

Es gibt sicher Leute, die sagen würden, Oper und Metal passen nicht zusammen. Wie siehst du das?

Emmanuelle: Ich weiß, viele Leute, besonders im klassischen Bereich, denken so. Für mich stimmt das nicht. Es gibt viele Brücken, Parallelen, Ähnlichkeiten zwischen Genres und ich glaube, scheinbar nicht passenden Dinge zusammenzubringen, ist immer bereichernd.

Normalerweise würde ich euch fragen, wann geht ihr auf Tour? Das ist momentan nicht möglich. Was heißt das für euch mitten in einer Pandemie ein Album zu veröffentlichen?

Emmanuelle: Das war eine große Herausforderung.  Wir mussten uns ständig anpassen. Termine mussten verschoben werden, Planungen geändert. Es war anstrengend. Gleichzeitig können wir stolz sein, denn wir haben es auch trotz Corona geschafft, ein neues Album rauszubringen. Wir haben unsere Herzen und Seelen dort reingesteckt. Für mich ist es ein ganz besonderes Album. Es ist ganz speziell geworden – ist sage, es ist so richtig „tasty“.

Corona macht das Leben für Musiker und Künstler besonders schwer – wie geht es dir dabei?

Emmanuelle: Es ist echt schwierig. Wenn du dich dafür entscheidest, dein Leben der Musik zu widmen, dann willst du auch auftreten. Du willst vor Publikum auf der Bühne stehen, du möchtest mit der Band zusammen sein. Das geht alles momentan nicht und das ist echt hart. Für mich fühlt es sich an, als ob etwas amputiert wurde. Dieses Wochenende wurde eine Opernaufführung gestreamt. Ich bin das erste Mal auf diese Art aufgetreten. Das war schrecklich. Mir hat das Publikum gefehlt, die Energie des Publikums. Das fehlt wirklich sehr.

Aber ich sehe auch die positiven Aspekte. Für uns war es eine Chance, sich auf Dinge zu konzentrieren, für die wir sonst keine Zeit hatten. Ich habe unter anderem an meiner Stimmtechnik gearbeitet. Und: Ich habe mich weiteren kreativen Projekten gewidmet –schreiben, komponieren und malen. Ich habe neue Facetten an mir entdeckt.

Aber natürlich: wir freuen uns sehr, wenn wir wieder auf die Bühne dürfen.

Du bist die Frontfrau und drei Männer scharen sich um dich. Sängerinnen und Musikerinnern werden immer präsenter. Aber das Business ist nach wie vor männlich geprägt. Was würdest du dir als Frau für die Branche wünschen?

Emmanuelle: Ich wünsche mir noch mehr Frauen in diesem Business. Das wäre großartig. Und: Ich wünsche mir, dass Frauen noch mehr als richtige, ernstzunehmende Musikerinnen wahrgenommen werden und nicht nur als schöne und auch sexualisierte Gestalten auf der Bühne. Natürlich ist das Auftreten einer Frau wichtig. Es darf auch sexy sein, aber diese Sexiness sollte nicht im Mittelpunkt stehen. Es soll gesehen werden, was wir musikalisch können. Aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg.

Was würdest du jungen Musikerinnen raten?

Emmanuelle: Ich würde jeder Frau sagen: Sei du selbst, sag, was du zu sagen hast, drücke aus, was du der Welt mitzuteilen hast und hab keine Angst davor, eine Künstlerin zu sein.

Wir sind am Ende angekommen – was möchtest du uns und deinen Fans noch sagen?

Emmanuelle: Wir freuen uns darauf, das neue Album mit euch zu teilen. Und: Wir können es nicht erwarten mit den neuen Songs auf die Bühne zu gehen.

Danke für deine Zeit und das Gespräch, Emmanuelle!

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