„Das Einzige, woran ich denken kann, ist, wieder auf der Bühne zu stehen!“

Nele Messerschmidt, Frontfrau von Elvellon, im Gespräch mit Dark Divas über den Napalm-Deal, Tiefpunkte der Motivation, sexuelle Belästigungen auf Social Media und musikalische Vorbilder.

Florian Dünser

FLORIAN DÜNSER

22. Jan. 2021

Interview
Elvellon
Nele Messerschmidt
Image

Nele, Hand aufs Herz – welche Gefühle überwiegen denn für dich im Rückblick auf das vergangene Jahr: Die Freude über den Deal mit Napalm Records – oder der Frust, mit Elvellon nicht auf der Bühne stehen zu können?

Nele Messerschmidt: Der Großteil des Jahres wurde von Covid überschattet. Nicht auf der Bühne stehen zu können, hat uns viel Energie gekostet. Gegen Ende des Jahres kam dann diese bombastische Überraschung, mit der wir nicht gerechnet hatten. Wir sind mega happy und können es immer noch nicht glauben. Deswegen würde ich dann doch eher zur Freude tendieren.

Wie ist die Zusammenarbeit mit Napalm Records zustande gekommen? Thomas Caser (Anm.: GF von Napalm Records und Drummer von Visions of Atlantis) habt ihr wahrscheinlich als Support von Visions of Atlantis kennengelernt?

Nele: Ganz genau. Wir waren 2019 mit Visions auf Tour. Wir haben uns den Backstage-Bereich geteilt und kamen da natürlich alle miteinander ins Gespräch. Am dritten Tag kam dann Thomas auf uns zu und hat gefragt – Zitat – ob wir Rockstars werden wollen. (lacht)

Da sagt man nicht Nein.

Nele: Wir haben das aber zuerst gar nicht ernst genommen, weil wir es überhaupt nicht fassen konnten, dass man uns sowas fragt – schon gar nicht der Chef von Napalm Records. Da brauchten wir erst mal ein bis zwei Minuten, um das zu verdauen. Wir haben uns dann an einen gemeinsamen Tisch gesetzt und ganz grobe Rahmenbedingungen besprochen. Dann hieß es Stillschweigen, Verträge durchschauen, alles miteinander besprechen – und unsere Unterschriften daruntersetzen.

Wenn man zehn Jahre lang mit seiner Band so konstant und hartnäckig am Erfolg arbeitet – wie lassen sich die Gefühle beschreiben, von einem großen Label unter Vertrag genommen zu werden?

Nele: Es ist unbeschreiblich. Es ist der beste Lohn für all die Jahre harte Arbeit. Es hat uns gezeigt, wie sehr sich jede einzelne Minute Aufwand gelohnt hat – auch jeder Streit und Ärger. Wir haben bestätigt bekommen, dass wir es können und Potenzial haben.

Gab es in den zehn Jahren auch Momente, wo du gesagt hast: Ich hab‘ keinen Bock mehr.

Nele: Ja, durchaus. Ich glaube wir waren alle mal an dem Punkt. Es treffen bei uns vier verschiedene und kreative Egos aufeinander – da kann es schon krachen. Das hört man auch ein wenig an unserer Musik. Das ist aber auch wichtig. Wir sind eine vierköpfige Familie, die über mehr als zehn Jahre zusammengewachsen ist. Ich persönlich kann mir mein Leben auch nicht mehr ohne die Jungs vorstellen.

Wie holt man sich an diesen Tiefpunkten neue Motivation, um weiterzumachen?

Nele: Die Bühne ist unser Antrieb. Alleine das Gefühl, rauszugehen und die Möglichkeit zu haben, den Menschen sein kreatives Werk zu zeigen und positives Feedback zu bekommen, ist das größte Kompliment, das man bekommen kann. Wenn es dann noch auf so großen Festivals wie beispielsweise dem M‘era Luna gelingt, das wir 2015 eröffnen durften, weil wir den Video-Newcomer-Contest gewonnen hatten, ist das Motivation genug. Dazu kommen natürlich Gespräche mit Fans und Nachrichten, die uns über Social Media erreichen und der Support von Familie und Freunden. Wenn man weiß, da steht so ein riesiges Netz an Leuten hinter einem, dann kann man im Endeffekt gar nichts anderes als weitermachen.

Der Deal steht – was sind die kurz- und mittelfristigen Pläne?

Nele: 2018 war das letzte Album, es wird also wieder Zeit für neue Musik. Ich muss aber gleich enttäuschen, aufgrund der aktuellen Situation (Anm.: Covid) wird das noch etwas dauern. Da hängen natürlich die größten Pläne mit Napalm Records dran. Wir sind in der Schreibphase für das Album, was sich aufgrund von Covid-Richtlinien und -Regeln nicht wirklich gut bewerkstelligen lässt. Wir versuchen trotzdem, uns regelmäßig zu sehen – dann eben mit offenem Fenster im Proberaum und mit Masken. Aber wer probt schon gerne mit Masken? Wir bleiben per Skype in regelmäßigem Austausch und besprechen dort Dinge, die hinter den Kulissen eben auch notwendig sind. Der große Plan ist aber erstmal: Pandemie überstehen.

Ist das Songwriting denn deins – oder liebst du es eher, den Kreativprozess auf der Bühne zu Ende zu bringen?

Nele: Mir gefällt die Freiheit auf der Bühne. Man hat seine Setlist und sein Konzept und kann auf Basis dessen frei sein, sich ausdrücken, mit dem Publikum interagieren. Das gibt mir extrem viel. Und beim Songwriting ist es halt so, dass man in seinem stillen Kämmerlein sitzt. Es ist für mich immer ein anstrengender Prozess, der viel im Kopf stattfindet. Das ist auf Dauer wirklich anstrengend, auch wenn ich gut darin versinken kann. Ich mag es auch. Denn es berührt eine andere Seite von mir. Wobei ich da schon aufpassen muss, dass ich nicht zu sehr darin versinke.

Woraus schöpfst du beim Texten Inspiration?

Nele: Tatsächlich ist es so, dass die Texte überwiegend aus der Feder von Martin (Anm.: Drummer) stammen.

Das ist ungewöhnlich.

Nele: Das stimmt. Aber Martin ist so etwas wie der Gründerpapa der Band und hat das ganz früh schon für sich entdeckt. Für das kommende Album wird da aber mehr kreativer Input auch von mir dabei sein.

Euer Album „Until Dawn“ hast du in einem Interview als „lange dunkle Nacht“, in der man raus möchte, um der Sonne entgegen gehen zu können, beschrieben. Eine sehr philosophische Betrachtung, fast schon etwas schwermütig. Ein Zugang, der eurer musikalischen Stilrichtung geschuldet ist – oder bist du generell ein nachdenklicher Mensch?

Nele: Oh ja, ich bin extrem nachdenklich. Wie beschreibe ich das am besten? (lacht) Jeder, der mich persönlich kennt, weiß, dass meine Vita nicht unbedingt die einfachste war. Ich habe sehr lange gebraucht, um aus gewissen Löchern wieder rauszukommen. Ich musste lernen, mein Leben bzw. gewisse Dinge, die darauf Einfluss nehmen, zu reflektieren. Vielleicht rührt daher die Schwermütigkeit, die schon auch Teil meines Charakters ist.

Du kommst aus einer musikalischen Familie, warst also de facto dein Leben lang mit der Leidenschaft in Kontakt. Wann entschied sich dein Herz für Metal?

Nele: Das war relativ früh. Mein Bruder ist neun Jahre älter als ich. Der war immer, seit ich denken kann, in der Metal- und Gothic-Szene unterwegs. Und er hat mich als großer Bruder und Held offenbar nachhaltig beeinflusst. (lacht)

Metal ist nach wie vor eine Männerdomäne. Du kommst aus der deutschen Provinz – warst du je mit Vorurteilen konfrontiert?

Nele: Wenn ich Menschen erkläre, dass ich Sängerin in einer Metal-Band bin, ist die Reaktion eigentlich immer eine positive. Ich glaube, es gab zwei bis drei Momente auf Festivals, auf denen ich schief angeschaut wurde – und dann gleich die Frage kam: Was machst du denn eigentlich für Metal, du wirst ja nicht rumschreien?

Nele: Genau. (lacht) Wenn ich im Gespräch erwähne, dass unsere Musik in Richtung Symphonic Metal geht, kommt dann schon gerne mal: Das ist doch gar kein richtiger Metal, das ist nicht true genug. Aber die Momente sind selten. Viel öfter höre ich: „Wow, cool – erzähl doch mal.“ Womit ich als Frontfrau aber schon immer mal wieder konfrontiert werde, ist, dass ich sexualisiert werde.

Inwiefern?

Nele: Man kann sicher behaupten, dass es Menschen gibt, die sich auf Social Media freizügiger zeigen als ich. Und doch bekomme ich relativ hochfrequentiert Nachrichten, in denen ich beispielsweise gefragt werde, ob ich denjenigen dominieren oder meine Unterwäsche schicken möchte. Richtig unschön wird es dann, wenn es richtig offensiv wird à la „Ich würde dich gerne ficken“. Das passiert mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Ich hatte im Metal-Genre eigentlich immer das Gefühl, dass die Menschen dort etwas sozialer sind.

Da sind also durchaus auch Männer dabei, von denen man aufgrund ihres Profils annehmen könnte, dass ihnen deine Musik gefällt? Sprich: Metalheads.

Nele: Ich würde sagen 50:50.

Antwortest du diesen Typen?

Nele: Nicht immer. Ich halte es für wichtig, denjenigen darauf hinzuweisen, dass das, was er gerade getan hat, nicht in Ordnung ist. Ich bin kein Weltverbesserer, aber das ist eine klare Grenzüberschreitung – und möchte vermeiden, dass das anderen Frauen passiert. Daher halte ich es für notwendig, den Mund aufzumachen und zu sagen, was mich stört. Was er dann draus macht, ist sein Ding.

Meldest du die Profile?

Nele: Wenn es unter die Gürtellinie geht, ja.

Ein schöneres Thema: Ihr seid bei Napalm Records in guter Gesellschaft – an der Seite von Bands wie Beyond the Black, Delain, Jinjer und Visions of Atlantis, um nur wenige Beispiele zu nennen. Hörst du die eine oder andere Band selber privat?

Nele: Ich fand Visions of Atlantis immer ganz cool. Ich wusste tatsächlich ganz lange auch nicht, dass der Thomas Caser dort Schlagzeug spielt. (lacht) Da war es für uns natürlich ein riesiges Kompliment, mit ihnen auf Tour zu gehen und jetzt zusammen im „Kollegium“ zu sein. Ich höre generell aber eher wenig Musik.

Das kommt jetzt etwas überraschend.

Nele: Da bin ich aber offenbar nicht die Einzige. Man hört immer wieder von Musiker-KollegInnen, die in ihrer Freizeit nicht allzu viel Musik hören.

Ihr wurdet schon als „Nightwish vom Niederrhein“ bezeichnet. Schmeichelt euch so ein Vergleich?

Nele: Jein. Vergleiche gehören dazu. Es ist ein riesiges Kompliment. Welche Band im Symphonic Metal ist schon größer als Nightwish? Aber als Künstler tust du dir damit etwas schwer, weil man natürlich sein eigenständiges Ding machen will. Wir haben das Rad nicht neu erfunden und sind im gleichen Genre zu Hause – aber trotzdem machen wir unsere Musik. Und dann nimmt man das mit einer gewissen Gänsehaut an.

Hast du trotzdem musikalische Vorbilder?

Nele: Ich kann das nicht so eindeutig sagen. Ich kenne das Gefühl, von anderen Künstlern inspiriert zu werden, vor der Zeit meiner Band – damals hatte das aber eher mehr mit „anhimmeln“ zu tun. Selber als Künstlerin inspiriert zu werden, fühlt sich anders an. Wenn man etwas Erfahrung und in das Business reingeschnuppert hat, funktioniert das eher in Form von Anerkennung: „Ah, derjenige macht das also so – ganz schön schlau. Sollte ich vielleicht auch ausprobieren.“ Und in der Hinsicht ist es wohl Floor Jansen – und das seit ihrem Karrierebeginn. Ich bin schwer beeindruckt von ihrer Stimmqualität und von ihrem Know-how.

Wenn du einen Wunsch frei hast: Was soll 2021 für Elvellon parat halten?

Nele: Das Einzige, woran ich denken kann, ist, wieder live auf der Bühne zu stehen.

Danke für das Gespräch, Nele!

Bleibe mit unserem Newsletter auf dem Laufenden

Folge uns auf Instagram