„Alles, was ich im Metal gelernt habe, baut auf der Oper auf"
Kristin Starkey spricht über ihren rasanten Einstieg in die Metal-Szene, ihre Rolle bei Temperance und betont, wie wichtig es ist, Online-Hate zu ignorieren.
CHRISTIAN VON DARK DIVAS
12. Okt. 2023
Dark Divas: Du bist während der Pandemie erstmals in die Metalszene eingetaucht, und dieses Jahr hast du bereits eine Tour als Leadsängerin für Temperance absolviert und Backing Vocals für Twilight Force beigesteuert. Außerdem wird das Album „Hermitage – Daruma’s Eyes Pt 2″ von Temperance am 20. Oktober veröffentlicht. Ist es nicht ein bisschen surreal, dass alles so schnell passiert?
Kristin Starkey: Ja, es ist ziemlich verrückt. Ich hatte bereits geplant, mich Twilight Force (Anm.: Eine weitere Band, in der sie Backing Vocals beisteuert) anzuschließen, und dann rief mich Marco (Anm: Pastorino, Gitarre/Gesang bei Temperance) im Dezember an. Temperance trennten sich von Sängerin Alissa Scolletti und haben mich angefragt, ob ich für ihre Tour mit Tarja übernehmen könne. Es fiel zeitlich mit der „Twilight Force”-US-Tour zusammen. Die ersten beiden Wochen musste ich daher ablehnen, aber ich bin anschließend sofort nach Spanien geflogen, um mich der Band anzuschließen. Insgesamt habe ich 20 Shows mit Twilight Force und 40 mit Temperance gespielt –alles innerhalb von drei Monaten.
Einen Tag, nachdem Marco mich für die Tour eingeladen hatte, fragte er mich, ob ich der Band beitreten und das neue Album mit ihnen aufnehmen möchte. Das gesamte Album war größtenteils fertig, mit Ausnahme der Vocals. Ich hatte also weniger als einen Monat Zeit, sie aufzunehmen. Ich habe alles in meinem Heimstudio gemacht. Ich habe mich an Marcos Lead-Tracks orientiert. Es war eine recht stürmische Zeit, aber wir harmonierten gut.
Dieses neue Kapitel hat für mich so unglaublich schnell begonnen. Die Pandemie hatte meine Opern-Karriere zum Stillstand gebracht, und ich begann Metal-Covers auf YouTube zu machen. Als die Beschränkungen nachließen, drehte sich alles um Metal, was eine angenehme Überraschung war.
Kanntest du Marco bereits?
Kristin: Ich habe Marco auf der „70.000 Tons of Metal”-Kreuzfahrt im Jahr 2019 getroffen. Ich war als Fan dort und ich liebe diese Kreuzfahrt total. Danach haben wir auf Facebook Kontakt aufgenommen. Ich glaube, es war mein Cover von „“Cry Out for a Hero“ von Beast in Black, das seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Er hat mich aus dem Nichts nach etwa vier Jahren angeschrieben und gefragt, ob er mich anrufen könne. Ihn kurz zuvor getroffen und ihn als sehr nette Person erlebt zu haben, war da sicherlich beruhigend.
Du hast von deinem Heimstudio erzählt, das sich in Schweden befindet, da du während der Pandemie von New York dorthin gezogen bist. Temperance hat seinen Sitz in Italien, und bist du wieder in New York. Waren die Aufnahmen und die Tournee für dich eine logistische Herausforderung?
Kristin: Es ist cool, wie wir heutzutage über WhatsApp und Messenger kommunizieren und es einfach machen. Viele Bands leben nicht mehr in derselben Gegend. Selbst bei „Twilight Force” haben wir alle in Schweden angefangen, aber jetzt leben alle in verschiedenen Ländern. Die Mitglieder*innen von Temperance sind über ganz Italien verstreut, aber es ist recht einfach in Kontakt zu bleiben. Lustigerweise haben wir vor unserer letzten Tour nicht einmal zusammen geprobt. Wir kennen unsere Parts gut und gehen in Soundchecks neue Songs durch, aber Jede und Jeder in Temperance ist ein(e) so großartige(r) Musiker*in, dass das einfach solide funktioniert. Und selbst wenn wir Fehler machen, lachen wir und machen weiter. Die meisten Bands haben heutzutage Mitglieder*innen in verschiedenen Teilen der Welt, also funktioniert das gut.
Wie war es, Teil einer etablierten Band wie Temperance zu werden? Ich hatte bereits die Gelegenheit, das Album zu hören. Es klingt, als wärt ihr schon lange zusammen.
Kristin: Als sie mich zum ersten mal gefragt haben, war ich zögerlich, weil ich an den vorherigen Gesangsstil der Band gewöhnt war. Und der ist ziemlich anders als meiner. Nachdem Marco mir jedoch die neuen Tracks geschickt hatte, fühlte ich, dass es perfekt passt. Die neue Musik ist progressiv, symphonisch und einfach anders als der alte Sound. Während einige ältere Temperance-Fans vielleicht enttäuscht sein könnten, glaube ich, dass wir viele neue Fans gewinnen werden. Das erste Feedback für die neuen Tracks war positiv, und ich bin optimistisch, der Band beizutreten, war eine gute Entscheidung. Sänger*innen-Wechsel können einige Leute verärgern, aber ich konzentriere mich darauf, den neuen Sound zu meinem eigenen zu machen und unser kreatives Potenzial zu zeigen.
Du warst jahrelang auf der Bühne in verschiedenen Opern, bevor du in die Metalszene eingestiegen bist. Wie fühlt es sich an, jetzt mit einer Metalband auf der Bühne zu stehen?
Kristin: Es ist eine komplett andere Welt. Ich habe ein Jahrzehnt lang Oper studiert und einen Doktortitel in Gesangsperformance erworben. Ich war mein ganzes Erwachsenenleben lang Opernsängerin und -studentin, was eine ungewöhnliche Kombination mit meiner lebenslangen Liebe für Metal ist. Zumindest wenn man die Vorlieben der Opernszene bedenkt. Ich habe immer gerne Metal gesungen, aber bis zur Pandemie habe ich es nicht ernsthaft verfolgt.
In der Oper gibt es Proben mit Pianisten und öffentliche Aufführungen, aber während der Pandemie habe ich mich auf Metal-Cover konzentriert. Im Gesangsunterricht unterrichte ich auch die Unterschiede zwischen Metal- und Operntechniken. Sänger*innen sollten Opernechniken lernen, um Rock zu singen, da dies einfach der gesündere Ansatz ist. Die Operntechnik, mit ihrer jahrhundertealten Geschichte, bildet die Grundlage für das Singen von Rock und Metal. Wer die grundlegende Gesangstechnik aus der Oper beherrscht, kann auch Rock und Metal auf der Bühne ohne Ermüdungserscheinungen der Stimme singen. Alles was ich für Metal gelernt habe, baut auf der Oper auf.
Ein weiterer großer Unterschied zwischen der Oper und Metal-Shows ist die Gesamtatmosphäre und auch die Reaktion des Publikums auf dich.
Kristin: Oh mein Gott, das ist ein himmelweiter Unterschied! (lacht) Ich liebe beides, aber es fühlt sich an, als wären es völlig verschiedene Berufe. Ich liebe die Energie des Metals. Es geht darum, Spaß zu haben – und es gibt viel weniger Stress. Wenn du einen Fehler machst, kümmert sich eigentlich niemand darum; du hast einfach eine tolle Zeit und bist du selbst.
In der Oper hingegen geht es darum, eine Show auf die Bühne zu bringen. Sie beinhaltet das Ankleiden, das Interagieren und manchmal sogar aufwändige Bühnenbilder. Die Musik ist fantastisch, und ich liebe das Gefühl, Oper zu singen. Aber es ist eine ganz andere Welt. Du bist viel nervöser, weil jeder Fehler unvergesslich sein kann, und der Druck ist intensiv. Das Opernpublikum tendiert dazu, älter zu sein und großartige Sänger*innen gehört zu haben, was es anspruchsvoller macht.
Trotzdem bin ich für meine Opernerfahrung dankbar. Sie hat viel zu meinen Metal-Auftritten beigetragen. Sie hat mir einen Sinn für Perfektionismus vermittelt, und ich strebe es jede Nacht an, 90 bis 100% zu geben, egal was passiert. Es ist unglaublich, wie viel Vorbereitung von Bühnenbewegungen über Kostüme bis hin zum Auswendiglernen von Texten erforderlich ist. Also, so sehr ich die Oper auch liebe, Metal ist für mich jetzt viel entspannter.
Sprechen wir ein wenig über das neue Album von Temperance, „Hermitage – Daruma’s Eyes Pt. 2“, das am 20. Oktober herauskommt. Hast du einen Lieblingssong auf dem neuen Album?
Kristin: Ich liebe „Into The Void“. Es ist dunkler und schneller, mit einer symphonischen Note, was es zu einem meiner Favoriten macht. „Darkness Is Just A Drawing“, der Track davor, ist ein weiterer Favorit. Auch „Hero Reborn“, der dritte Track, ist mir besonders wichtig, obwohl sein langes Intro ihn vielleicht nicht zu einer Single macht. Unsere zweite Album-Single, „No Return“, sticht aufgrund ihrer Einzigartigkeit und des unterhaltsamen Gesangsstils heraus. Es war schwierig, nur drei Singles auszuwählen, da die Songs eines Konzeptalbums integral für die Geschichte sind, was die Auswahl schwierig macht.
Wie planst du den 20. Oktober zu verbringen? Hat die Band etwas Besonderes für den Veröffentlichungstag des Albums geplant?
Kristin: Ursprünglich hatten wir überlegt, einige Shows zu machen, aber das hat sich aufgrund begrenzter Möglichkeiten nicht ergeben. Stattdessen planen wir, im Februar während unserer Tour mit Serenity zu feiern, bei der wir viele neue Songs spielen werden. Im Moment haben wir aber keine konkreten Pläne. Ich werde immer noch in New York sein und hauptsächlich die Reviews und Reaktionen verfolgen. Wir hoffen natürlich, dass das Album gut ankommt und zu spannenden Show- und Tour-Angeboten führt.
Ich bin da aber ziemlich zuversichtlich; ich liebe dieses Album, und die ersten Bewertungen waren positiv. Es hebt Temperance mit seinem einzigartigen und unverwechselbaren Sound in diesem Genre hervor. Wir werden sehen, wie es läuft.
Eine letzte Frage. Wir sind ein Magazin für Frauen im Metal, das gegen Vorurteile kämpft. Gibt es etwas, das du anderen Frauen weitergeben möchtest? Etwas, das du auf deinem Weg gelernt hast?
Kristin: Es gibt viel zu diesem Thema zu sagen, aber ich würde sagen, das Wichtigste ist, selbst und authentisch zu sein. Lass dich nicht von YouTube-Kommentaren, besonders den negativen, beeinflussen. Es ist wichtig, dass dieser eine schlechte Kommentar nicht die hundert positiven überschattet. Leider machen einige Leute unangemessene Kommentare, nicht nur über deine Gesangsfähigkeiten, sondern auch über dein Aussehen, was entmutigend sein kann. Es ist frustrierend, wenn deine Erfolge auf dein Aussehen reduziert werden. Ich weiß, es ist schwer, aber mein bester Rat ist, Online-Negativität zu ignorieren und sich auf den Moment zu konzentrieren. In dieser Branche wirst du unterschiedlich behandelt, aber lass niemanden dein Selbstvertrauen untergraben.
Es ist leichter gesagt als getan, aber stolz auf deine Arbeit zu sein und die kleinen negativen Kommentare zu ignorieren, ist der beste Ansatz.
Temperance
Temperance ist eine italienische Symphonic-Metal-Band, die 2013 gegründet wurde.
Mitglieder
Kristin Starkey - Sängerin Michele Guaitoli - Gesang, Piano Marco Pastorino - Gesang, Gitarre Luca Negro - Bass Marco Sacchetto - Drums
Bleibe mit unserem Newsletter auf dem Laufenden
Folge uns auf Instagram
© 2024 DARK DIVAS ALLE RECHTE VORBEHALTEN