„Das Album fühlt sich wie eine Neuvorstellung an”
Charlotte Wessels im Gespräch mit Dark Divas über ihr neues Album „The Obsession”, das Mitwirken ihrer ehemaligen Delain-Kollegen, Musik als Spiegelbild und ihre Rückkehr zum Metal.
CHRISTIAN VON DARK DIVAS
30. Sept. 2024
Deine Alben Tales from Six Feet Under I & II haben während der Pandemie deine Solo-Karriere eingeläutet. Jetzt arbeitest du mit einigen deiner ehemaligen Delain-Kollegen und anderen Musikern zusammen. Könnte dieses Solo-Projekt irgendwann zu einem vollwertigen Band-Projekt werden, oder ist diese Zusammenarbeit einfach nur Teil deines kreativen Prozesses?
Charlotte Wessels: Ich verstehe, was du meinst. Auch wenn das Projekt unter meinem Namen läuft, haben meine ehemaligen Kollegen den Sound sehr stark beeinflusst. Es würde nicht so klingen, wenn andere Musiker beteiligt gewesen wären – sie haben definitiv ihren Stempel auf diesem Album hinterlassen. Als ich über einen Album-Titel nachgedacht habe, habe ich auch überlegt, ob es etwas sein könnte, das wie ein inoffizieller Bandname funktioniert.
Für mich ist es jetzt wie Charlotte and the Obsession, so ähnlich wie Nick Cave and the Bad Seeds. Obwohl es eine gewisse Band-Dynamik gibt, macht es trotzdem Sinn, die Musik unter meinem Namen zu veröffentlichen, weil es ursprünglich als Solo-Projekt gestartet ist. Ich möchte allen, die mitgemacht haben, Anerkennung geben, weil sie wirklich tolle Arbeit geleistet haben. Aber auch wenn es sich live wie eine Band anfühlt, bleibt ein großer Teil der Verantwortung bei mir.
Die Vorgänger-Alben waren kein Metal, aber The Obsession markiert eine Rückkehr zu einem härteren Sound. Was hat dich zurück zu deinen musikalischen Wurzeln geführt?
Wessels: Ich glaube der bessere Zugang, das zu erklären, ist zu verdeutlichen, warum die ersten beiden Alben kein Metal waren. . Diese Alben waren Sammlungen von Songs, die ich auf Patreon veröffentlicht habe und die ich mit digitalen Tools wie einem MIDI-Keyboard erstellt habe. Das Ganze war als Nebenprojekt zu Delain gedacht, ein Platz für alle Songs, die nicht Metal waren. Die härteren, symphonischen Metal-Stücke habe ich mir für mögliche Delain-Projekte aufgehoben.
Auf dem zweiten Album, Tales from Six Feet Under, gab es bereits ein paar Songs wie Human to Ruin und The Phantom Touch, die in Richtung Metal gingen. Aber da diese mit digitalen Instrumenten gemacht wurden, konnten wir die Drums, Gitarren und den Bass nicht so stark in den Vordergrund stellen, weil sie programmiert waren – das hätte man im Mix gemerkt.
Bei The Obsession war der Prozess anders, weil ich wieder mit Live-Musikern gearbeitet habe. Von Anfang an war klar, dass ich ein Album machen wollte, das wir auch live spielen können. Diese Absicht hat das Songwriting beeinflusst und es natürlicherweise härter gemacht. Musiker wie Timo (Timo Somers, ex-Delain, Gitarre), Joey (Joey Marin de Boer, ex-Delain, Drums) und Otto (Otto Schimmelpenninck van der Oije, ex-Delain, Bass) haben wirklich einen Unterschied gemacht. Dieses Album spiegelt die Musik wider, die mich wirklich glücklich macht, befreit von den Einschränkungen, alleine in meinem Keller während der Pandemie zu arbeiten.
Laut deinem Label hebt The Obsession deine Solo-Karriere auf ein neues Level. Siehst du das auch so?
Wessels: Ich finde es toll, wenn das Label solche Aussagen macht, damit ich es nicht tun muss! (lacht) In gewisser Weise, ja, dieses Album fühlt sich wie eine Neuvorstellung von mir selbst an. Es ist das erste Mal, dass ich ein Solo-Projekt als zusammenhängendes Album angegangen bin, anstatt nur eine Sammlung von Songs. Ich habe die Messlatte dieses Mal bewusst höher gelegt, was Ambition, Aufwand und Gesamtergebnis angeht. Ob dieses Album meine Karriere auf das nächste Level hebt, liegt wirklich bei den Hörer*innen, aber wir haben auf jeden Fall unser Bestes gegeben, um es so stark wie möglich zu machen.
Songs wie The Crying Room, The Exorcism und Dopamine wirken tiefgründiger und reifer als einige deiner früheren Werke. Siehst du das auch so, und wenn ja, war das beabsichtigt?
Wessels: Ich habe immer versucht, in meinen Texten persönlich zu sein, aber ich denke, auf diesem Album bin ich offener. Früher war ich oft kryptisch, was bestimmte Songs für mich bedeuten, während ich bei The Obsession direkter geworden bin. Ich hatte beim Songwriting keinen bestimmten Plan, um reifer zu sein – es ist einfach natürlich passiert, als ich verschiedene Emotionen durchlebt habe. Wenn das jetzt reifer rüberkommt, dann ist es wohl ein Spiegelbild dessen, wo ich mich gerade befinde.
Hilft es dir, persönliche Probleme und Sorgen in der Musik zu verarbeiten, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen?
Wessels: Ehrlich gesagt kann ich mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal im Gleichgewicht war, aber Musik zu schreiben, hilft auf jeden Fall. Wenn ich immer wiederkehrende Gedanken oder Ängste habe, kann ich sie in einem Song verarbeiten. Zumindest verwandle ich etwas Negatives in etwas Kreatives, auch wenn die Gefühle nicht vollständig verschwinden. Es macht es auch etwas weniger beängstigend, sich diesen Themen zu stellen. Sie in Worte zu fassen und in einen Song zu verwandeln, ist eine Möglichkeit, aktiv daran zu arbeiten.
Wenn du dich entscheiden müsstest, hast du einen Lieblingssong auf diesem Album?
Wessels: Ich würde sagen The Exorcism. Ich liebe alle Songs aus unterschiedlichen Gründen, und Chasing Sunsets war lange Zeit mein Favorit. Aber The Exorcism fühlt sich am persönlichsten an und ist auch mein Lieblingssong, den ich live performe.
Simone Simons (EPICA) und Alissa White-Gluz (Arch Enemy) haben dich auf zwei Tracks begleitet. Warum hast du dich entschieden, wieder mit ihnen zusammenzuarbeiten, und wie war die Erfahrung?
Wessels: Es war eine großartige Erfahrung. Bei Dopamine war es logisch, mit Simone zu arbeiten, weil der Song von einem Thema handelt, über das wir uns schon oft ausgetauscht haben. Als ich den Song zum ersten Mal auf Patreon veröffentlicht habe, hat Simone mir gesagt, wie sehr sie ihn liebt. Es fühlte sich richtig an, sie für die Album-Version mit ins Boot zu holen. Mit Alissa habe ich schon mehrfach zusammengearbeitet, oft bei Songs, die von berühmter Poesie inspiriert sind. Ode to the West Wind basiert auf einem Gedicht von Percy Shelley, also passte es zu unserem fortlaufenden Thema. Alissa war unglaublich beschäftigt, hat aber trotzdem alles daran gesetzt, dass es klappt, und dafür bin ich sehr dankbar.
Der Gospelchor in Praise fügt dem Album eine besondere Note hinzu. Was hat dich dazu inspiriert, ihn einzubauen?
Wessels: Schon bei den ersten Noten von Praise hatte ich dieses Gospel-Feeling, nicht nur wegen des Wortes Praise, sondern auch wegen des gesamten Sounds des Tracks. Ich habe beschlossen, dieses Gefühl aufzunehmen und so weit zu gehen, wie ich konnte. Wir haben G-Roots, einen talentierten Gospelchor, eingeladen, und das Ende mehr oder weniger vor Ort improvisiert. Ich war überwältigt von dem, was sie in den Song eingebracht haben, und ich bin sehr gespannt, wie die Leute darauf reagieren.
Gibt es Musiker*innen, mit denen du in Zukunft gerne zusammenarbeiten würdest?
Wessels: Da gibt es auf jeden Fall ein paar, aber ich werde nicht verraten, wer es ist, um nichts zu verschreien! (lacht) Ich wäre aber total begeistert, wenn ich irgendwann mal die Chance hätte, eine Ballade mit Nick Cave zu singen.
Du begleitest VOLA auf ihrer Europatour. Hast du Pläne für eine eigene Headliner-Tour?
Wessels: rgendwann, ja, aber im Moment macht es mehr Sinn, als Support oder Special Guest aufzutreten. Wir haben schon ein paar Shows geplant, wie die Release-Show, aber in dieser Phase möchte ich mich neu vorstellen und neue Zuhörer*innen erreichen. VOLA zu unterstützen, ist eine großartige Gelegenheit, genau das zu tun, und ich bin persönlich ein großer Fan von ihnen, also ist das ziemlich aufregend.
Gibt es einen Song, auf den du dich besonders freust, ihn live zu spielen?
Wessels: Ich liebe es, The Exorcism zu performen. Er war schon bei ein paar unserer Shows dabei, und ich singe ihn einfach gerne. Ich freue mich auch auf Praise und die neue Version von Soft Revolution.
Zum Abschluss, was ist deine aktuelle Obsession?
Wessels: Momentan bin ich total fasziniert von dem Film Poor Things und dem Buch, auf dem er basiert. Es hat sogar einige der Visuals für The Exorcism inspiriert. Das ist wohl meine kulturelle Obsession.
Gibt es noch etwas, das du deinen Fans mit auf den Weg geben möchtest?
Wessels: Ich möchte mich einfach bei allen für ihre Unterstützung bedanken. The Obsession war ein Herzensprojekt, und es ist großartig, es mit der Welt zu teilen. Ich hoffe, dass die Leute darin etwas finden, das ihnen wichtig ist – sei es ein Text, der sie berührt, oder eine Melodie, die im Kopf bleibt.
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