„Jede*r hat seine Ängste, Dämonen und Selbstzweifel“

Melissa Bonny spricht mit uns über ihr neues, dunkles Album „Abyss“, ihre Meilensteine 2024 und ihrer Ad-Infinitum Playlist „Ad-In-Booty-Bounce“.

HANNAH BRÄNDLE

9. Okt. 2024

Interview
Ad Infinitum
Melissa Bonny
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Nur noch wenige Tage bis zu eurem Album-Release. Für Ad Infinitum beginnt ein neues Zeitalter – vom „Abyss” über das „Surface” bis hin zum „Elysium”. Storytelling liegt dir im Blut. Wie schafft ihr es, all eure Werke so nahtlos miteinander zu verbinden? 

Melissa Bonny: Vor allem „Abyss“ war für mich eine Möglichkeit, Emotionen herauszulassen. Bei den vorherigen Alben haben wir die Songs und Texte immer auf historische Ereignisse und Personen aufgebaut. Es gab immer eine Möglichkeit, uns selbst einzubringen, aber bei „Abyss“ und der neuen Trilogie hatte ich mehr Gelegenheiten, persönliche Erfahrungen und Gefühle einzubinden. Dadurch fühlt es sich, denke ich, ehrlicher und persönlicher an.

Kannst du mir mehr über den Prozess eurer Trilogien erzählen? Schließt ihr ein Album ab – oder arbeitet ihr in Vorausschau bereits an allen drei Alben?

Melissa: Beides ist richtig. Wir haben im Voraus geplant, damit wir ein vollständiges Bild dieser Trilogie haben. Wir haben an einem Gesamtkonzept für die drei Alben und den visuellen Aspekten für die Trilogie gearbeitet. Das bedeutet nicht, dass alles komplett fertig ist, aber wir mussten den Leuten, die zum Beispiel an den Artworks oder Videos arbeiten, eine Vision vermitteln, damit sie das Material erstellen können und dabei im Hinterkopf haben, was als Nächstes kommt. Was die Songs angeht, haben wir bereits angefangen, am nächsten Album zu schreiben. Aber es ist nicht so, dass wir alle drei Alben gleichzeitig schreiben. Wir haben uns auf „Abyss“ konzentriert.

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Ihr habt das neue Album als „ominous darkness“ beschrieben und in den Liedtexten wirkt es so, als wäre mit dem Abyss auch die menschliche Psyche und deren Abgründe gemeint. 

Melissa: Ja, ich denke, es ist eine Metapher für die dunklen Abgründe der Psyche. Jede und jeder hat seine Ängste, Dämonen und Selbstzweifel. Das sind Dinge, die jeder in seinem Leben erfährt und mit denen man umgehen lernen muss. So sind wir auf den Titel „Abyss“ gekommen – wir denken, dass er eine Metapher für diesen dunklen Ort in uns allen ist.

Es ist eine klare Veränderung in eurer Musik spür- und hörbar. Die Songs und Musikvideos sind anders als auf euren bisherigen Alben. Wieso dieser Wandel?

Melissa: Es fühlte sich für uns richtig an. Als ich die erste Hälfte unseres ersten Albums schrieb (Anm: Chapter I – Monarchy), waren nur der Produzent und ich – und eben meine damaligen, symphonischen Einflüsse. Dann kam die Band dazu, und wir schrieben gemeinsam weiter – aber die Richtung blieb symphonisch. Jetzt entwickeln wir uns als Musikerinnen und Musiker und als Menschen weiter. Wir haben entschieden, dass wir in eine moderne Richtung gehen wollen. Schon beim zweiten und dritten Album haben wir das getan, aber auf eher konservative Weise. Wir dachten: ‘Wir haben als symphonische Band angefangen, wir können uns nicht komplett verändern.’ Aber man konnte schon sehen, dass wir Schritte in Richtung Modern Metal machten. Bei diesem Album war es dann so:’Wenn wir nicht berücksichtigen, wo wir angefangen haben, was erwartet wird und in welche Schubladen wir passen, was wollen wir wirklich schreiben?“‘ Und obwohl symphonische Orchestrierungen in die Musik, die wir heute machen, passen würden, sind nur sehr wenige symphonische Elemente in dieses Album eingeflossen. Und es fühlt sich einfach richtig an. Es fühlt sich so an, als würde es uns heute repräsentieren.

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Du hast ja bei deinem letzten Interview für Dark Divas im März 2023 die Entwicklung in eine andere Richtung, in „etwas Spezielleres“, schon anklingen lassen. Wie lange war dieses Album nun schon in Arbeit? 

Melissa: Das ist eine gute Frage. Ich erinnere mich nicht genau, wie weit wir damals im Denkprozess waren. Aber wir sprechen schon lange über dieses Konzept. Richtig an den Songs gearbeitet haben wir erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahres. Wir haben ein Songwriting-Retreat gemacht und diesen Prozess dieses Jahr wiederholt, um wirklich intensiv an den Songs zu arbeiten. Aber wir haben schon ein paar Monate vor Beginn des Schreibprozesses über das Konzept gesprochen. Aber wenn du sagst, dass ich damals schon Andeutungen gemacht habe, dann haben wir vielleicht schon über einige Änderungen gesprochen. (lacht) Vielleicht nicht über das Ganze, aber über einige Änderungen, die wir im Kopf hatten.

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In „Surrender“ hast du deine choreografischen Tanzkünste unter Beweis gestellt. Singer, Songwriter und Tänzerin - quasi ein Triple-Thread. Woher nimmst du die Energie?

Melissa: Ich weiß nicht. (lacht) Ich muss Nick Anerkennung für die Idee mit der Choreografie geben, weil er etwas gesehen hat, das ihm in einem anderen Genre gefallen hat. Und er meinte: ‘Oh, es wäre cool, das zu machen.‘ Weil man so etwas im Metal nicht sehr oft sieht. Ich würde nicht sagen, nie, weil es das auch schon gab – aber es ist jedenfalls nicht üblich. Also meinte er: ‘Warum machen wir das nicht?‘ Und zufällig habe ich eine Freundin, Joséphine Remy, die professionelle Tänzerin und Choreografin ist. Das war das erste Mal, dass wir beruflich zusammengearbeitet haben. Sie ist eine fantastische Person. Aber ich weiß: Das beantwortet deine Frage nicht wirklich. (lacht)  

Das ist okay, es ist so cool, dass deine Kindheitsfreundin auch Teil deiner Kunst ist. Und die Energie kommt scheinbar ganz natürlich. Es liegt dir im Blut.  

Essen, Schlafen und Sonnenlicht. (lacht)  

Und Musik. 

Und Musik, genau! (lacht)

Der Song und das Video enden mit einem Cliffhanger. Damit meine ich das Roboter-Auge,du hörst auch mitten im Satz auf zu singen. Wie wird es weitergehen?

Melissa: Wir haben ein neues Video, das, glaube ich, diese Woche erscheint, in welchem du schon einige Hinweise sehen kannst. Wir haben nämlich in jedem Video ein paar ‘Easter Eggs’ platziert, die auf das nächste Video hinweisen. Ich sage ‘wir’, aber eigentlich war es der Regisseur des Videos, weil wir ihm, wie vorher erwähnt, das Konzept der drei Alben erklärt haben und wollten, dass jedes Video mit dem nächsten verbunden ist. Und er hat sich ein Konzept ausgedacht. Zum Beispiel dieses Roboter-Auge – viel mehr Sinn wird es erst im übernächsten Video ergeben. 

Kami (Zero), der das Make-up und die Kostüme für viele Videos gemacht hat, hat mich komplett verwandelt, bis zu dem Punkt, an dem man mich nicht mehr erkannt hat. Das hat so viel Spaß gemacht. Es gab so viele Schritte bei dieser Verwandlung. Ich habe jedes Mal Bilder für meinen Mann gemacht, und er meinte dann: ‘Das bist nicht mehr du.’ (lacht) Ich habe mich im Selfie-Modus auf meinem Smartphone angeschaut und dachte: „Woah, woah!“ (lacht)

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Gleich drei Touren stehen für dich Ende 2024 und Anfang 2025 noch an. Zwei mit Ad Infinitum und eine mit Dark Side Of The Moon.

Melissa: Es gibt noch eine weitere Tour mit Dark Side of the Moon. Das ist noch ganz frisch.  

Oh, wow! Genießt du das Tourleben?  

Melissa: Ja! Besonders, wenn man mit Menschen tourt, die man schätzt. Zum Beispiel gehen wir jetzt mit Blackbriar auf Tour, mit denen wir schon letztes Jahr mit Kamelot und Frozen Crown unterwegs waren, und da herrscht immer eine gute Energie. Wenn man mit Leuten arbeitet, die auch viel auf Tour sind und verstehen, wie sich das anfühlt, herrscht einfach eine gute Stimmung. Wir unterstützen uns gegenseitig und interagieren mit den Fans. Das ist die größte Belohnung als Musikerin bzw. Musiker, wenn man seine Kunst auf der ganzen Welt teilen kann. Ich sage Welt, dabei haben wir bisher nur zwei Kontinente besucht (lacht) – aber wenn du so hart an etwas arbeitest, dass du liebst, und dann die Chance bekommst, auf die Bühne zu gehen, und siehst, dass die Leute es wirklich genießen und mitsingen, dann gibt das viel Kraft.  

Es ist anstrengend, es ist eine Belastung für Geist und Körper. Weil du unterwegs bist und nicht in deinem eigenen Bett schläfst, aber letztendlich ist es das, wovon unsere jüngeren Ich’s vor 20 Jahren geträumt haben.

Hast du ein Tour-Ritual, um wieder in die richtige Stimmung zu kommen?

Melissa: Wenn ich mal keinen so guten Tag habe, gibt es ein paar Songs, nach denen es  mir gleich besser geht. Das hängt immer von den neuesten Veröffentlichungen ab, aber bei der letzten Tour war es, glaube ich, ein Song von Bring Me The Horizon oder Bad Omens – aber es könnte auch Dua Lipa gewesen sein. (lacht)  

Mit der Band haben wir eine Playlist. Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich das sagen darf, aber sie heißt „Ad-In-Booty-Bounce“. (lacht) Und wir spielen sie manchmal, bevor wir auf die Bühne gehen. Wir haben alle zu dieser Playlist beigetragen, also sind es Songs, die wir alle mögen.  

Das Jahr ist noch nicht ganz vorbei, aber weißt du schon, welche Erlebnisse du als deine Meilensteine 2024 bezeichnen würdest?

Melissa: Für mich wäre die einfache Antwort: Ad Infinitum geht zum ersten Mal nach Amerika. Unsere erste Nordamerika-Tour – das ist definitiv ein Meilenstein, auf den wir lange hingearbeitet haben. Es wurde immer wieder verschoben, und endlich haben wir es geschafft und wir hatten eine tolle Zeit.

Und mit deiner Solo-Karriere startest du auch gerade durch.  

Melissa: Ja! Das ist tatsächlich auch ein Meilenstein. Ich wollte schon lange einen meiner Songs veröffentlichen und schreibe auch schon lange, aber ich habe immer meine Bands priorisiert. Und endlich hatte ich die Chance, mir die Zeit zu nehmen, um richtig daran zu arbeiten, und habe dieses Jahr ‘Gravitate’ veröffentlicht. Es kommen noch mehr Songs. Das sind alles Lieder, die nicht zu Ad Infinitum oder Dark Side of the Moon passen würden, und niemand hat von mir erwartet, dass ich so etwas mache, also kann ich einfach tun, was ich will. Es kann Pop-Rock sein oder was auch immer, und ich habe Spaß dabei. Mein Ziel ist es, regelmäßig mehr Musik zu veröffentlichen.  

Danke, Melissa!

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