„Es geht darum, den schlimmen Dingen, die dir passieren, etwas Gutes abzugewinnen“

Mariangela Demurtas, Frontfrau von Tristania und Ardours, im Interview über ihre erste Solo EP, die heilsame Kraft der Kunst und Tourpläne im Ungewissen.

10. Feb. 2022

Interview
Mariangela Demurtas
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Diese Woche ist für dich etwas Besonderes, weil deine erste Solo EP erscheint. Fühlt sich das anders an, als ein Album mit einer deiner beiden Bands zu veröffentlichen?

Mariangela: Es fühlt sich nach mehr Freiheit an. Letzten Endes möchte ich Spaß haben - ich tue es einfach. Ich bin schon so lange Songwriterin, aber bis jetzt habe ich nie wirklich etwas veröffentlicht. Ich war mir nicht sicher, in welche Richtung ich gehen will, und jetzt fühle ich mich sehr wohl mit dem, was ich tue. Es ist einfach Freiheit. Ich liebe das Gefühl, Herrin über mein eigenes Leben und –musikalisch gesprochen – meine eigenen Dinge zu sein. Ich habe auch sehr positives Feedback bekommen, also ja: es fühlt sich gut an!

Kannst du dich erinnern, wann und aus welchem Anlass dir zum ersten Mal der Gedanke kam, eigene Musik zu veröffentlichen?

Mariangela: Das ist zwar die erste EP, die ich herausbringe, aber ich habe 2013 schon einmal ein Soloalbum komponiert und produziert. Ich habe es nie veröffentlicht, es ist nur auf Patreon. Wie schon gesagt, war ich mir nicht sicher, in welche Richtung ich gehen will. In meinem Leben habe ich viele verschiedene Bands und Genres kennengelernt und wusste nie wirklich, was das Richtige für mich ist. Hinsichtlich der Worte und Melodien schon, aber hinsichtlich des Sounds war immer die Frage: Möchte ich Metal machen oder mich eher von dem Genre entfernen? Letzten Endes habe ich mich einfach für das entschieden, wonach ich mich gefühlt habe. Ich sorge mich nicht darum, ob es vielleicht nicht das ist, was andere erwarten. Wichtig ist, was DU willst! Und so lief es dann auch ab.

Du hast bereits erwähnt, dass du jetzt mehr Freiheiten hattest, was das Songwriting angeht. Kannst du das ein bisschen näher beschreiben? Du hattest sicher auch mehr Kontrolle über den ganzen Prozess.

Mariangela: Die Art und Weise, wie ich für mich selbst schreibe, ist anders als die Art und Weise, wie ich für die Bands schreibe. Bei den Bands erhalte ich normalerweise Material vom Gitarristen und versuche dann einen Song zu kreieren, der bereits ein Song ist. Sprich, ich gebe meinen Teil dazu und richte mich nach dem Vibe des Songs, der bereits da ist. Wenn ich für mich selbst schreibe, beginne ich entweder mit der Melodie oder dem Text und arbeite dann am Piano oder an der Gitarre, wähle die Akkorde und arbeite einfach sehr viel an der Melodie. Es kommt auch darauf an, was ich in letzter Zeit gehört habe. Manchmal habe ich Songs, die traurig klingen oder von der Melodie her eher progressiv, oder melancholisch. Es hängt davon ab, wie ich mich fühle. Das Coole an diesem Projekt ist, dass ich es auch genauso machen kann. Die Songs sind vollkommen ehrlich. Ich habe nicht gedacht: „Oh, lass uns diesen Song so oder so produzieren, weil das der Trend ist, dem die Leute im Moment folgen.“ Ich mag es, einen Scheiß auf Trends zu geben. Ich kann sagen, dass das wirklich ich selbst bin, dass ich vollkommen ehrlich bin – pure Gefühle, keine Angeberei mit meiner Stimme, total introspektiv, aber auf eine sehr transparente Art und Weise, die einfach zu durchschauen ist, selbst für jemanden, der von außen zuhört. Und das ist es.

Wenn du zurückblickst, gibt es dann dennoch eine Sache, von der du dir wünschst, du hättest sie anders gemacht, oder etwas, das du gerne gewusst hättest, bevor du die EP aufnimmst?

Mariangela: Es passiert durchaus, dass dir, je öfter du eine eigene Kreation hörst, neue Ideen kommen oder du denkst: „Oh, ich hätte dies tun können!“ oder „Ich hätte das hinzufügen können“. Es ist ein bisschen, als würdest du über jemand anderen sagen: „Die Person hätte es besser machen können. Es würde besser klingen, wenn er oder sie das und das getan hätte.“ Wir müssen innehalten und an diesen Moment zurückdenken. Wir müssen den Moment der Schöpfung respektieren, denn heutzutage ist alles viel zu einfach. Wir können einen Song nehmen und ihn verändern. Wir können unsere Meinung dazu haben und es ist niemals zu spät, weil man einen Song immer neu schneiden oder etwas hinzufügen kann. Das Gute daran, das nicht zu können, ist die Tatsache, dass alles bereits aufgenommen ist – an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, so wie es sein soll. Denn so leben wir auch, richtig? Wir wünschen uns, alles perfekt zu machen, aber das tun wir nicht. Mit der Musik ist es genauso.

Unperfekt zu sein ist nichts Schlimmes, richtig?

Mariangela: Nein, absolut nicht! Manchmal singe ich etwas und der Sound kommt mir komisch vor. Das ist seltsam, aber es ist eben so! Man muss sich nicht immer Gedanken über die Technik machen. Ich verwende zwar eine Technik, um bestimmten Facetten meines Gesangs mehr Kraft zu verleihen, aber ich wäre sehr langweilig, wenn ich nur Dinge erschaffen würde, indem ich über die Technik nachdenke. Ich bevorzuge Gefühle und die Technik ist nur dazu da, mich in dem zu schulen, was ich tue.

Lass uns über die EP reden. Der Titel „Dark Ability“ lässt viel Raum für Interpretationen. Er hat etwas Düsteres, so als würde er auf dunkle Magie oder eine Art finstere Superkraft anspielen. Um was für eine Fähigkeit geht es dabei wirklich?

Mariangela: Ich glaube, du hast es schon richtig verstanden. „Dark Ability“ bezieht sich auf Resilienz. Es geht darum, den schlimmen Dingen, die dir passiert sind, etwas Gutes abzugewinnen; eine positive Seite an dem Negativen, das dir und allen anderen widerfährt. Du verarbeitest sie so, dass sie zwar immer noch dunkel und schlimm sind, du aber etwas von ihnen lernen kannst. So werden sie dann zu etwas Positivem. Deswegen ist Dunkelheit nicht nur hoffnungslos. So wie ich das sehe, ist es ein Prozess. Es gehört zum Leben dazu. Wir sehen uns mit Dunkelheit konfrontiert, und das ist gut, denn so können wir auch die andere, die bessere Seite sehen.

Da wir schon über Dunkelheit und Negativität sprechen: die Songs auf der EP bringen dieses Gefühl wirklich rüber. Sie sind nicht Metal, sie haben eher einen balladesken und melancholischen Sound. „Classic“ verströmt sogar eine Atmosphäre tiefer Traurigkeit. Gab es eine bestimmte Situation oder eine schlimme Erfahrung in deinem Leben, die die vier Tracks inspiriert hat?

Mariangela: Leider ja. Ich denke, dass es mein Job ist, diese Emotionen in die Musik miteinfließen zu lassen. Das ist das, was ich tun sollte: Songs schreiben, denn auf diese Weise kommuniziere ich, damit sich Menschen weniger einsam fühlen. Ich nutze die Musik, um mich mit anderen zu verbinden und die Liebe um mich herum wachsen zu lassen, damit ich mich besser fühlen kann in Bezug auf Dinge, die passiert sind und die mich traurig machen. Ich möchte nicht im Detail auf die Ereignisse eingehen, die „Dark Ability“ inspiriert haben, aber ich kann sagen, dass dieser Schmerz noch immer sehr lebendig ist. Ich erinnere mich, dass es schwer war, als ich die Songs geschrieben habe, aber es war auch befreiend. Man könnte sagen, dass ich danach ein Gleichgewicht gefunden habe, auch wegen der Musik und wegen des Albums. Ich denke, das ist ein guter Weg für uns, es in diesem Leben zu schaffen. Resilienz ist sehr wichtig, und ich wünschte, alle könnten das sehen, denn dann könnten viele Menschen gerettet werden. Insbesondere in der westlichen Welt haben wir dieses große Problem mit Angst und Depressionen, obwohl wir eigentlich alles haben. Wir beschweren uns zu oft. Ich wünschte, alle würden ihre eigenen Kämpfe künstlerisch verarbeiten und es anderen beibringen, mit dem Herzen dabei zu sein und die Kunst dafür zu nutzen. Male etwas, wenn es dir nicht gut geht, oder erfreue dich an der Natur, indem du deine Sinne nutzt. Gefühle sind sehr wichtig, weil sie einen vom Denken wegbringen - wenn du einfach nur genießt; und das können wir nur tun, indem wir leben. Wir können uns von unseren eigenen Kämpfen erholen, wir müssen es nur wollen.

Kunst kann sicherlich vielen Menschen helfen. Gibt es denn andere Künstler*innen, die dich inspiriert haben?

Mariangela: Ja. Jetzt nicht im Speziellen für die EP, aber letztes Jahr habe ich oft Musik von Künstler*innen gehört, die ich sehr mag. In den letzten Jahren hat mich vor allem die weibliche Szene begeistert, zum Beispiel Emma Ruth Rundle und Sharon van Etten. Alles neue Gesichter in der Musikwelt, die viel Gutes mitbringen. Sie haben mich sehr inspiriert und ich habe dadurch die Stärke gefunden, um voranzuschreiten. Sie waren nicht wirklich Metal, aber auch nicht Pop. Sie hatten einfach etwas zu sagen, und ich dachte: „Ich habe auch etwas zu sagen, und das möchte ich außerhalb meiner Bands tun.“ Und ich glaube, es funktioniert. Ich bin mit mir selbst im Reinen. Ich hatte einfach diese Solokünstlerin in mir, die herauskommen musste. Jetzt bin ich glücklich.

Würdest du gerne einmal mit einer dieser Künstlerinnen zusammenarbeiten?

Mariangela: Ich hoffe es! Das wäre toll und interessant, weil ich sie sehr bewundere. Mit einer Person zu arbeiten, die ein großes musikalisches und künstlerisches Talent hat, ist sehr bestärkend. Ich mag beide Musikvideos zu „City“ und „Classic“, aber für Letzteres habe ich mit der tollen bildenden Künstlerin Beatriz Mariano zusammengearbeitet, die wirklich über den Tellerrand schaut. Wenn wir mit talentierten Menschen arbeiten, kann dabei nur etwas Gutes herauskommen. Ich bin sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, das „Classic“-Video mit ihr gemeinsam zu machen. Es ist uns gelungen, etwas zu erschaffen, das zwar schlicht ist, aber, wie ich finde, auch sehr stark kommuniziert.

Da es dir ja viel Spaß gemacht hat, diese Videos zu drehen: gibt es schon Pläne für neue oder sogar für eine ganze LP?

Mariangela: Sicher habe ich Pläne. Für die EP habe ich eine Crowdfunding-Kampagne gestartet –meine erste! Ich hoffe wirklich, dass ich noch zwei Lyric Videos für „Forgiveness“ und „Crossing Time“ machen kann. Das wäre großartig. Und was die LP angeht: ich hoffe, dass ich genügend Songs dafür zusammenkriegen werde. Ursprünglich hatte ich genug für ein ganzes Album. Ich hatte zehn Songs und habe vier davon aufgenommen, denn das war alles, was ich in diesem Moment tun konnte. Ich denke, das Album kommt einfach später. Das bisherige Feedback zur EP war großartig, aber wir werden sehen.

Du hast nicht nur deine EP, um Musik zu veröffentlichen. Wie du bereits erwähnt hast, bist du sehr aktiv auf Patreon. Was teilst du dort und was können Fans von dir erwarten, wenn sie für eines deiner Kanalabonnements bezahlen?

Mariangela: Sie können weniger Gerede und mehr Inhalte erwarten. Ich arbeite sehr hart für Patreon. Ich biete Unterrichtsstunden in Gesang und Songwriting an. Außerdem gibt es viele Podcasts, in denen ich über mein Leben als Sängerin von Tristania und Ardours rede. Eine ganze, wunderbare Reihe, die ich extra für die Fans gemacht habe, ist auf Patreon verfügbar, ebenso wie ein komplettes Album. Es gibt dort wirklich viele dieser Lektionen, die sie so intensiv nutzen können, wie sie wollen, und Interviews mit anderen Künstler*innen, die sehr inspirierend sein können, weil wir wirklich miteinander reden und die Fans einen Einblick in das Leben hinter dem/der Künstler*in erhalten. Ich teile sehr viel auf meinem Patreon. Nächsten Monat möchte ich etwas verändern, auch wenn diese ganzen Inhalte natürlich erhalten bleiben. Ich will mich mehr auf die Performance konzentrieren. Ich werde mehr singen. Wir werden sehen, wie es läuft.

Das ist definitiv ein Weg, mit den Menschen in Verbindung zu bleiben, was ja im Moment durch das große C sehr schwierig ist. Gibt es trotzdem vorsichtige Tourpläne für 2022?

Mariangela: Es ist schwierig. Mit meiner Band Ardours veröffentliche ich im Sommer ein neues Album. Die Sache ist die: als wir begonnen haben, live zu spielen, fing alles sehr gut an. Wir waren die Vorgruppe für Bands wie Paradise Lost und sind auf Festivals aufgetreten, und dann kam die Pandemie. Das hat uns gestoppt. Wir konnten nichts mehr tun, außer im Internet präsent zu sein, und jetzt bringen wir ein neues Album heraus. Das Album ist großartig, aber ich werde abwarten, was wir davon haben. Mein Soloalbum würde ich auch gerne live spielen, aber lass uns sehen, wie es läuft, denn im Moment wollen alle auf Tour gehen. Es ist schwierig, einen Ort dafür zu finden. Auf jeden Fall wünsche ich mir sehr, wieder live zu spielen, denn ich performe wirklich gerne. Hoffentlich bald.

Was tust du, um in diesen Zeiten eine positive Einstellung beizubehalten?

Mariangela: Ich versuche damit umzugehen, indem ich mich auf die Arbeit konzentriere. Das ist nicht immer gut, denn manchmal müssen wir uns in Erinnerung rufen, dass wir einfach als atmende, menschliche Wesen existieren. Um mich vom Denken abzuhalten, setze ich mir manchmal Ziele und versuche, sie zu erreichen. Ich habe mir vorgenommen, zweimal die Woche ins Fitnessstudio zu gehen und kriege es immer noch nicht hin. Ich bin einfach zu müde! (lacht)

Wir haben noch Zeit für eine letzte Frage. Gibt es neben Ardours auch Pläne für Tristania?

Mariangela: Nein, gibt es nicht. Nur eine Tour im Dezember, das ist alles.

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