„Es fühlt sich an, als ob ich Flügel bekommen hätte!"

Zsuzsa Radnóti aka Shakey Sue von den Hellfreaks im Gespräch über Genregrenzen, Unehrlichkeit im Mainstream und neue Musik.

Elena von Dark Divas

ELENA VON DARK DIVAS

6. Apr. 2023

Interview
Shakey Sue
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Vielen Dank, Sue, dass du dir heute die Zeit nimmst, ein wenig mit uns über "Pitch Black Sunset" und euer Schaffen zu sprechen.

Sue: Klar! Wir können das Interview gerne auf Deutsch machen, wenn du möchtest. Ich habe zwar seit drei Jahren kein Deutsch mehr gesprochen, aber das wird schon klappen.

Gerne! Für mich hört es sich nicht an, als ob du außer Übung wärst.

Sue: Naja ... doch! (lacht) Der Wortschatz ist noch da, aber es ist alles ein wenig passiv geworden. Und es ist super anstrengend. Aber das wird schon.

Dann lass uns direkt starten! Eure Musik wird total unterschiedlich gelabelled: Vom Modern-Metal über Post-Hardcore, Punk und Punk-Rock ist alles dabei. Wie würdest du euren Sound selbst beschreiben?

Sue: Ich sage immer, wir spielen Punk gewürzt mit Metal. Es ist im Moment ein bisschen mehr Metal, eher aggressiv. Irgendwie spricht Jede und Jeden etwas anderes an unserer Musik an. Aber die Leute haben ja Recht: Da ist Punk, da ist Metal, da ist Hardcore, manchmal ist es auch ein bisschen poppig. Es ist tatsächlich ein Gemisch aus all dem was wir gerne hören und mögen. Wenn mich die unterschiedlichen Bezeichnungen zu sehr nerven, dann sag ich einfach wir spielen Rockmusik. (lacht)

Ihr habt euren Stil über die Jahre verändert. Die Genregrenzen und auch die lyrischen Grenzen im Psychobilly waren dir zu eng. Hast du das Gefühl, du kannst dich seit eurem Stilwechsel mehr ausleben?

Sue: Definitiv! Das klingt jetzt sicher schräg, aber es fühlt sich seitdem an, als hätte ich Flügel bekommen. Die ersten zwei Alben waren Psychobilly-lastig, wir waren damals sehr aktiv in dieser Szene. Das war cool und ein wenig wie Märchen für Erwachsene. (lacht) Nach zwei Alben hatte ich das Gefühl, ich kann mich nur noch wiederholen – und das hat sich schrecklich angefühlt. Auch gesangstechnisch, und erst recht was die Texte angeht, konnte ich im Psychobilly nur wenig experimentieren. Ich fühlte mich nach einer Weile ziemlich doof und dachte mir, ich will das Zeug schon gar nicht mehr sagen.

2014 war fast Aus die Maus. Wir dachten ein halbes Jahr lang, das ist das Ende der Band. Aber dann haben wir eine Einladung vom Ink & Iron Festival in den USA bekommen. Das war etwas Großes und Unvorstellbares für uns als Band aus Ungarn. Nach langem Hin und Her haben wir uns entschieden mit den Hellfreaks weiter zu machen, aber alles aus der Musik raus zu nehmen, was uns gestört hat. Wir haben uns dazu entschieden, unsere eigene Kreativität einfach treiben zu lassen, ohne uns für ein Genre zu entscheiden, und einfach zu schauen was passiert. Daraus ist dann dieser Punk-Metal-Mix entstanden, den wir jetzt machen.

Ihr habt mittlerweile euer fünftes Album, „Pitch Black Sunset", in der Pipeline. Wie unterscheidet sich das Musikmachen und Produzieren in euren Anfängen vom Musikmachen heute?

Sue: In allem! Die Songs auf „Hell, Sweet Hell" waren die allerersten Aufnahmen für mich als Sängerin. Ich nahm davor keinen Gesangsunterricht und hatte eigentlich keine Ahnung was ich mache. Außerdem waren wir alle Studenten, hatten kaum Geld und konnten uns gerade mal so ein Studio für 48 Stunden mieten. Das war echt schwierig! Trotzdem haben wir das ganze Album tatsächlich innerhalb der 48 Stunden aufgenommen. Und es wurde, wie es wurde. (lacht) Seit damals hat sich vieles geändert. Ich gehe heutzutage nicht mehr ins Studio, um den Gesang aufzunehmen, sondern zeichne alles bei mir Zuhause auf. Ich habe die Abstellkammer in meiner Wohnung zu einem Vocal Booth umgebaut. So kann ich auch Nachts üben, ohne dass meine Nachbarn eine Krise bekommen. Wir nehmen mittlerweile generell sehr viel selbst auf. Die instrumentalen Parts macht unser Bassist Gobi. Josi, unser Gitarrist, konnte sich bei „Pitch Black Sunset" nochmal mehr einbringen, viel von sich selbst in die Musik geben. Anfangs war das ganze nur ein Hobby, ich hätte nie gedacht, dass die Band 14 Jahre später immer noch so ein großer Teil meines Lebens sein wird.

Also könnte man sagen, eure neue Platte ist das bisher gemeinschaftlichste Werk, das ihr rausgebracht habt?

Sue: Ich glaube schon. Jeder trägt in dem Teil etwas zur Musik bei, bei dem er am stärksten ist. Wir haben gelernt, was zu uns passt und wie wir gut arbeiten können. Dass es beispielsweise Sinn macht, erst die instrumentalen Parts zu schreiben und anschließend mit dem Gesang anzufangen – nicht umgekehrt. „Wheeping Willow" ist der einzige Song auf dem neuem Album, bei dem erst Lyrics und Gesang und dann der Instrumentalteil da waren. Es gibt auch manchmal Sackgassen und Momente, in denen wir nicht zueinander finden. Die Jungs schreiben einen richtig coolen Song aber ich kann trotzdem nichts damit anfangen. Gobi ist Head of Songwriting, er weiß mittlerweile zum Beispiel, dass ich mit Sachen, die zu poppig sind, nicht gut kann. Da entstehen schon manchmal kleine Streits. Aber das ist die Magie am Musikmachens. Wenn alles immer stimmig wäre, wäre es zu einfach. (lacht)

Ihr zeigt extrem viel von eurem Kreativprozess. Auf eurem YouTube-Kanal analysiert ihr eure Videoshoots und Lyrics, außerdem ladet ihr regelmäßige Behind The Scenes hoch. Eine Seltenheit, für die Fans natürlich mega geil! Wieso habt ihr euch dazu entschieden, so offen mit eurem Schaffen umzugehen?

Sue: Das hat zwei Gründe. Zum einen sind wir in der glücklichen Situation, dass wir Fans aus aller Welt haben. Wir wissen aber, dass wir live nicht überall hinkommen werden – das ist unmöglich. Deshalb wollen wir auf den Socials mit den Fans in Kontakt treten und zeigen, was wir machen. Wir quatschen viel mit den Leuten, ich unterhalte mich jeden Tag mit ihnen in den DMs. Das ist wahnsinnig wichtig, wir verdanken unseren Fans schließlich alles. Zum anderen ist es so, dass sich die Musikindustrie über die Jahre wahnsinnig gewandelt hat. Vor ein paar Jahren war es viel einfacher auf Tour zu gehen, außerdem haben sich die Leute früher noch ganze Alben angehört und CDs gekauft. Heute hört sich kaum einer ein ganzes Album an. Wenn, dann nur, wenn sie die Band bereits gut kennen. Die Leute hören sich vor allem Singles und Playlisten auf Spotify an. Da kommen jeden Tag so viele Songs raus, dass es immer schwieriger wird einen Ton zu setzen und "Hallo, hier sind wir" zu sagen. Also versuchen wir uns gezielt mit einzelnen Songs vorzustellen und damit voll rauszugehen, viele Insights zu geben. Außerdem ist es für mich persönlich verdammt wichtig, das Feedback aus den YouTube-Kommentaren zu bekommen. Feedback ist beste Antriebskraft.

In einem eurer Videos sagst du, du schreibst über alles, was dich bewegt. Deine Formulierung war: „Es ist wie eine Fotografie meines Gehirns". Ist es manchmal beängstigend, so tief blicken zu lassen?

Sue: Das ist es. Aber ich glaube Sinn der ganzen Underground-Musik ist nach wie vor, dass wir ehrlich bleiben. Mainstream ist oft nicht ehrlich, da geht es viel darum das zu sagen, was die Leute hören wollen. In unserer Szene steht im Vordergrund, eine Connection zu bilden. Und die kommt dadurch zustande, dass jemand deine Texte versteht und sich damit identifizieren kann. Sich vielleicht denkt „Oha, ich mach' ja dieselbe Scheisse durch, ich bin ja gar nicht alleine mit meinen Problemen und Gedanken". Der zwischenmenschliche Kontakt, Motivation und Inspiration, sind das Wichtigste. Ich sehe da keinen anderen Weg, als sehr, sehr ehrlich zu sein.

Mit welchem Song auf „Pitch Black Sunset" zeigst du dich denn von deiner ehrlichsten, rohesten Seite?

Sue: Sie sind alle ehrlich. Von der ungewöhnlichsten Seite zeige ich mich jedoch sicher in „Wheeping Willow". Hier habe ich Gedanken preis gegeben, die ursprünglich nicht unbedingt für das große Publikum gedacht waren. Das Lied hat einen sehr dunklen Text.

Ist „Wheeping Willow" gleichzeitig dein Favorit auf dem neuem Album?

Sue: In gewisser Weise schon. Es ist ein sehr experimenteller Song. Als wir damit fertig waren, hatten wir die Diskussion, ob wir ihn überhaupt als Single rausbringen sollen – da er das Potential hat zu polarisieren. Aber das wollten wir. Wie sagt man so schön: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!

Wie werdet ihr euren Release am 14. April feiern – habt ihr eine fette Party geplant?

Sue: Wir werden eine Album-Release-Party hier in Budapest machen, aus organisatorischen Gründen allerdings erst im Herbst. Inmitten des Starts der Festival-Season wäre es blöd gewesen. Irgendwas will ich am 14. definitiv machen, aber ich weiß noch nicht genau, was. (lacht)

Apropos Festival-Season: Werdet ihr kommenden Sommer die europäischen Bühnen unsicher machen?

Sue: Ein paar Festival-Dates haben wir bereits angekündigt. Ansonsten ist noch einiges in Planung, darüber darf ich leider noch nicht sprechen. Sicher ist: Es wird was kommen!

Das Interview führte Elena per Videocall für dark-divas.com.

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