„Es wollte kein Metal-Album aus mir raus“

Anneke van Giersbergen hat ihr wohl intimstes Album veröffentlicht. Anlass genug, mit ihr über Musik, dunkle Momente und die Zukunft von VUUR zu sprechen.

Ursula von Dark Divas

URSULA VON DARK DIVAS

5. März 2021

Interview
Anneke van Giersbergen
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Vor knapp einer Woche hast du dein Solo-Album The Darkest Skies Are The Brightest veröffentlicht. Ein gutes Gefühl?

Anneke van Giersbergen: Ja, so ist es wirklich. Denn alles in allem hat der ganze Prozess ja mehr als ein Jahr gedauert. Vom Schreiben der Lieder bis zum Endresultat. Ich muss sagen, ich bin wirklich glücklich. Jetzt ist es endlich draußen und die Leute können es hören. Solche Momente sind immer sehr aufregend. Ein wenig Angst schwingt aber auch mit. Weil es ja ein sehr persönliches Album ist und man hofft, dass die Leute es mögen und verstehen. Soweit läuft es aber sehr gut.

Ich mag den Titel des Albums – er ruft sehr viele Erinnerungen hervor. Dunkle Nächte, man schaut in den Himmel und irgendwann taucht ein Stern nach dem anderen auf und die Nacht ist plötzlich nicht mehr dunkel. Hattest du auch solche Bilder im Kopf, als du dich für den Titel entschlossen hast?

Anneke: Genau so war es. Schön gesagt. Es gibt im Leben für jeden so viele Herausforderungen. Jeder von uns erlebt dunklere Phasen, da muss man durch, um zu den helleren zu gelangen. Ich glaube, es gibt eine Balance zwischen Dunkelheit und Licht im Leben. Wir müssen dieses Gleichgewicht nur finden. Wir sollten unsere Probleme nicht ignorieren, sondern Wege ausmachen, wie wir damit zurechtkommen oder sie lösen können und so zu einem helleren Ort finden.

Glaubst du, es braucht die Dunkelheit, um das Licht mehr zu schätzen?

Anneke: Ich glaube ja. Ich bin generell ein sehr glücklicher Mensch. Aber, wenn du etwas durchgestanden hast, dann siehst du das Glück noch differenzierter. Was du auch lernst mit der Zeit, ist die Gewissheit, dass auch scheinbare unbezwingbaren Probleme bewältigt werden können.

Dein Album ist, wie du schon gesagt hast, sehr persönlich, sehr intim. Du hältst deine Gefühle, deine Sorgen und Gedanken nicht zurück – das ist sehr mutig. Siehst du das als deine künstlerische Pflicht und fällt dir das leicht, dich so zu öffnen?

Anneke: Es ist leicht in dem Sinne, dass ich immer über meine Gefühle und mein Leben schreibe. Der große Unterschied bei diesem Album ist, dass ich hier über eine sehr spezifische Zeit in meinem Leben geschrieben habe. Als das Album fertig war, brannte mit der Corona-Krise draußen gleichsam die Welt. Da dachte ich mir: Hier bin ich mit meinen elf Liedern, also raus damit, wen kümmert es schon. Ich habe einigen Leuten das Album vorgespielt. Wir haben darüber geredet, worüber es handelt. Dabei ist das Gefühl aufgekommen, dass wir alle mit diesen Problemen zu kämpfen haben. Denn jeder von uns ist auf der Suche nach Liebe, aber wir haben auch alle den Drang für das zu kämpfen, woran wir glauben. Darum geht es auch in meinem Album. Und die Leute, denen ich das Album vorspielte, haben nicht nur verstanden, wovon ich singe, sondern, sie teilten auch die Gefühle. Das hat mich sehr überrascht und war mir nicht bewusst.

Du hast deine Gitarre genommen und hast dich in ein kleines Haus in der Nähe deiner Heimatstadt Eindhoven zurückgezogen, um die Lieder zu schreiben. Du hast dich also in isolierten Zeiten noch mehr isoliert – war das notwendig, um kreativ zu sein?

Anneke: Die Selbstisolation fand schon vor Corona statt. Ich hatte also keine Ahnung, dass ich bald wirklich eingesperrt sein würde. (lacht) Ich hatte schon Songs oder Teile davon im Vorjahr geschrieben. Ich wollte ein Metal-Album schreiben, aber es wollte einfach nicht aus mir rauskommen. Dann schrieb ich all diese melancholischen, weichen Songs. Da dachte ich, was, wenn ich einfach an einen ruhigen Ort gehe, um mich dort auf diese Lieder und die Lyrics konzentrieren zu können. Und auch, um meinen Kopf frei zu kriegen, um dem Ganzen einen Sinn zu geben. Wir gehen immer wieder in dieses Haus – für eine Woche oder so – um Lieder zu schreiben. Und normalerweise mag ich das nicht so gerne, weil ich meine Inspiration aus anderen Quellen beziehe – etwa aus anderen Ländern, von anderen Leuten, die ich treffe. Die Inspiration kommt also oft von außen. Deses Mal war das nicht so, sie kam von innen, aus meinem Herzen, aus meinem Kopf und so spürte ich das Verlangen, dass ich mich selbst ein wenig abschirmen und konzentrieren musste. Das Album wurde dann während der Pandemie fertiggestellt.

Du hast es schon selbst gesagt, dieses Album ist soft und melancholisch. Bei VUUR geht es härter zu. Bei welcher Gangart fühlst du dich wohler?

Anneke: Um ehrlich zu sein: Ich liebe beides. Diese Welten liegen zwar weit auseinander. Aber eine Metal-Crowdweiß auch eine Nummer eines Singer-Songwriters zu schätzen und umgekehrt. Und wenn ich mit einer Metal-Band auf der Bühne bin, dann hast du da viele Leute. Da kommt sehr viel Energie vom Publikum und du kannst laut singen, du kannst dich frei bewegen und ich mag das – fast wie ein Kind, kann ich dort meine Energie rauslassen. Aber wenn ich nur mit der Gitarre auftrete und die Leute im Publikum sitzen da, ist das eine ganz andere Energie, eine sehr persönliche, intime Atmosphäre. Das mag ich auch. Ich denke mir dann: ich kann das machen bis ich 85 bin. (lacht) Aber das headbangen wird nicht so lange funktionieren. (lacht) Für das Herumspringen auf der Bühne gibt es quasi ein Alterslimit. Ich liebe einfach beides und ich möchte beides solange als möglich machen.

Deine Muttersprache ist Holländisch, du hast auch schon Lieder auf Holländisch gesungen. Stand es für dich im Raum, das Album in deiner Muttersprache zu singen?

Anneke: Ich habe schon einige Nummern in Holländisch verfasst und gesungen. Die Idee, ein ganzes Album in meiner Muttersprache zu machen, trage ich schon lange mit mir herum. Und dann könnte ich es übersetzen, so dass ich zwei Alben hätte. Die Liedtexte in Holländisch kommen aber nicht so leicht aus mir raus, wie die Lyrics in Englisch. Aber es wäre noch persönlicher, näher an mir dran, weil es meine Muttersprache ist. Wenn ich schreibe, schreibe ich in meinem Dialekt. Aber ich habe einfach noch nicht genug Songs.

Reden wir ein wenig über das Musikbusiness. Du bist schon lange dabei. Was hat sich zum Besseren, was eventuell auch zum Schlechteren gewandelt?

Anneke: Was sich zum Positiven verändert hat, ist, dass es für viele Leute leichter geworden ist, Musik aufzunehmen. Du kannst zu Hause in deinem Zimmer am Computer deine eigene Musik recorden. Es ist großartig, dass junge Künstler keine großen Budgets mehr brauchen, um im Musikbusiness Fuß fassen zu können. Sie brauchen keine riesigen Plattenfirmen mehr im Hintergrund, denn sie können alles selber machen. Mein Sohn hört viele dieser jungen Künstler, die ihre Musik selber schreiben, selber singen, selber aufnehmen, selber produzieren. Da ist so viel Kreativitität vorhanden. Es hat diesen Indie-Style und nennt sich Bedroom-Pop. Das ist fantastisch. In unserer Zeit, jetzt klinge ich alt, aber vor 20 bis 30 Jahren, brauchtest du ein richtiges Budget und eine Plattenfirma, die dich dabei unterstützt. Dadurch blieben sicher viele Talente unentdeckt. Heute haben wir über das Internet und die verschiedenen Plattformen so tolle Möglichkeiten und können uns untereinander vernetzen. Es hat sich dadurch eine große Welt eröffnet. Ein negativer Aspekt könnte vielleicht sein, dass es jetzt vielleicht zu viele Künstler gibt und das Publikum sich schwertut, herauszufinden, was ihnen wirklich gefällt. Da ist auch viel schlechtes Zeug dabei, weil es eben so einfach geworden ist. Aber eigentlich sehe ich kaum Negatives.

Du bist für viele Künstlerinnen ein Vorbild – unter anderem auch für Floor Jansen von Nightwish. Wie geht es dir damit?

Anneke: Ehrlich, ich denke darüber nicht nach. Viellicht ist es aber das, was die Leute mögen. Sie sehen, dass ich meinem inneren Antrieb und meinen Gefühlen folge. Ich arbeite sehr intuitiv. Was ich schreibe – Texte oder Songs – kommt direkt aus dem Herzen. Ich glaube, wenn Hörer und Künstler auf demselben Level sind, dann kommt es zu einer guten Verbindung. Ich habe dasselbe Gefühl mit vielen Musikern, die ich gerne höre und gut finde. Zum Beispiel Freddy Mercury oder Kate Bush. Das sind große Vorbilder in meiner Welt. Auch Madonna war in den 1980ern für mich wichtig. Einfach, weil sie so war, wie sie war. Wenn jemand dieses Gefühl bei mir hat, dann sehe ich das als großes Kompliment. Ich versuche nicht darüber nachzudenken. Denn sonst bist du gleich zu selbstbewusst. Natürlich soll man an sich selbst glauben und auf das, was man macht und tut, stolz sein. Aber ich finde, man sollte auch immer zweifeln und sich selbst hinterfragen: Ist das richtig, was ich tue? Ist das der richtige Song? Man darf nicht aufhören, sich selbst Fragen zu stellen und sich selbst in Frage zu stellen. Aber Floor – sie ist so großartig und sie ist eine der besten Sängerinnen in unserer Szene. Es macht mich stolz zu hören, dass sie das über mich sagt.

Wir kommen langsam zum Ende und wir müssen noch über Corona sprechen. Wie ist das für dich in Zeiten wie diesen, ein Album zu veröffentlichen?

Anneke: Es ist eine merkwürdige Zeit. Und der erste Lockdown – als die ganze Welt zugesperrt wurde – das war so ein eigenartiges Gefühl. Es hat mich Wochen gekostet, bis ich einen Weg fand, damit umzugehen. Irgendwann dachte ich mir, ich werde mich einfach auf das Album konzentrieren. Das war also alles gar nicht so negativ. Das Album war auch sehr viel früher fertig als geplant. Wir werden Schritt für Schritt durch diese Zeit kommen. Richtiges Touren wird es aber für mich frühestens 2022 wieder geben. Bis dorthin sind vielleicht kleinere Auftritte mit wenigen Leuten möglich – da sind wir von der Regierung abhängig, was erlaubt sein wird. Aber auf richtiges Touren müssen wir noch einmal ein Jahr warten. Das ist schwierig. Aber wir machen weiter. Tag für Tag, Woche für Woche. Und wir haben Pläne und Ideen – und wir haben auch online etwas Schönes in Planung.

Wenn du in die Zukunft schaust – wie sieht es mit deinen Plänen für VUUR aus?

Anneke: VUUR ist da, weißt du. Es ist mein Projekt und es ist auch gleichzeitig sehr frei. Wenn ich wieder in die harte Richtung gehen möchte, dann mach ich das mit VUUR. Alles, was heavy ist, wird unter dem Namen VUUR laufen. Aber zuerst, sobald wir grünes Licht bekommen, möchte ich mit meinem Solo-Album auf Tour gehen.

Eine unserer Followerinnen wollte wissen, ob es vielleicht wieder die Chance auf eine Zusammenarbeit mit The Gathering gibt?

Anneke: Sag niemals nie. Aber im Moment gibt es keine Pläne. Ich konzentriere mich auf meine eigenen Projekte.

Die Zeit verfliegt, wir sind bereits am Ende angekommen – was möchtest du deinen Fans auf dark-divas.com sagen?

Anneke: Wir sind online in Verbindung und das ist eine wundervolle Sache. Aber die beste Sache ist, wenn wir wieder touren, auf die Bühnen rauf dürfen und wieder ein wenig schwitzen können. Aber bis dahin hoffe ich, dass wir online in Verbindung bleiben. Das ist das Einzige, was aktuell zählt.

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